Oberstdorf – Zumindest am Bad in der Menge durfte sich Andreas Wellinger schon in der Qualifikation am Schattenberg wieder versuchen. Der Skisprung-Olympiasieger von Pyeongchang winkte den ausgelassenen Fans zu, feixte mit den Kollegen. Und wurde dann doch ein bisschen nachdenklich: „Es fehlt mir“, sagte Wellinger, „dieser Sport ist einfach in mir.“
Sechseinhalb Monate hat der Münchner ihm nun schon fernbleiben müssen. Seit jenem verhängnisvollen Trainingssturz in Hinzenbach (Österreich). Ein Crash, über den die Szene rätselte. Wellinger war nicht allzu weit gesprungen, auch die Bedingungen waren keine schlechten gewesen. Und doch war das Kreuzband im rechten Knie des 24-Jährigen zerrissen. „Da macht man sich schon seine Gedanken“, sagte Norwegens Chefcoach Alexander Stöckl.
Wellinger selbst will über das Warum lieber nicht nachdenken. Der Mann will wieder fliegen, so bald wie es nur möglich ist. Ein Punkt, der für ihn immer außer jeder Diskussion stand. Wann das sein wird, ist eine Frage, die sich noch nicht beantworten lässt. In diesem Winter, so viel ist klar, wird er keinen Sprung mehr absolvieren. Dieser Sport der Extreme ist nur beherrschbar, wenn Körper und Geist vollends bereit sind. Das weiß Wellinger selbst: „Bei uns geht es nur ganz oder gar nicht. Einen fünfzigprozentigen Sprung gibt es nicht.“
Und das Knie ist ein Gelenk mit Tücken. Kollege Severin Freund kann ihm da nach gleich zwei Kreuzbandrissen viel erzählen. „Bei vielen Verletzungen gibt es einen klaren Plan“, sagte Freund, „beim Knie ist die Heilung ein Prozess, der sich ständig verändern kann.“
Immerhin: Andreas Wellinger hat einen Weg gefunden, die Zwangspause zu nutzen. Bei seinem Geldgeber Red Bull kann er ein Praktikum für sein Studium der Betriebswirtschaftslehre absolvieren. Er tut es im Rehabilitationszentrum des Brausekonzerns in Thalgau (Österreich). Seine Aufgabe ist, mit den verletzten Sportlern den besten Plan für eine Rückkehr zu erarbeiten. Wellinger tut es vor allem mit sich selbst.
Dass es ihm gelingt – auch Bundestrainer Stefan Horngacher hat daran keine Zweifel. Der Österreicher glaubt sogar, dass die Karriereunterbrechung dem Hochbegabten Flieger am Ende gutgetan haben könnte. „Er hat die Gedanken mal in eine ganz andere Richtung lenken können“, sagte Horngacher. Zum Beispiel auf seine zweite Leidenschaft Wellenreiten. Doch der neue Chefcoach ist sich sicher: „Im nächsten Jahr ist er wieder voll da.“
Mit der Rolle als Zaungast will er es bis dahin freilich nicht übertreiben. Beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen wird er den Kollegen noch einmal direkt an der Olympiaschanze die Daumen drücken. Dann wird er sich wieder ins Aufbautraining zurückziehen. Es sei denn, dass diese Tournee einen ganz besonderen Verlauf nimmt. Zum Finale am Dreikönigstag in Bischofshofen hat er es von Thalgau im Fall der Fälle nicht weit. „Wenn es da etwas zu Feiern gibt, dann bin ich da.“