Lienz – Sie braucht eben manchmal ein bisschen länger als andere, um zu realisieren, was ihr wieder einmal gelungen ist. Bei den beiden Weltcup-Rennen in Lienz gab es aber weder etwas zu rechnen, noch zu überlegen. Bestzeit in beiden Riesenslalom-Durchgängen am Samstag, Bestzeit in beiden Slalom-Läufen am Sonntag ergibt zwei Siege – sie jubelte gestern deshalb sofort ausgiebig über einen Jahresabschluss, den ihr nach ihrem Auftritt in Courchevel knapp zwei Wochen zuvor wohl nicht sehr viel zugetraut hätten. In den französischen Alpen hatte Shiffrin mit Platz 17 im Riesenslalom ihr schlechtestes Ergebnis seit Dezember 2017 abgeliefert. Auf dem Lienzer Schlossberg fand sie zurück zur alten Leichtigkeit.
Dabei war der letzte Arbeitstag noch einmal eine Herausforderung für die Amerikanerin, weil ihre Dauerrivalin Petra Vlhova wieder einmal eine fulminante Zeit vorlegte und den Rest des Feldes deutlich um mehr als eine Sekunde distanzierte. Shiffrin verfolgte am Start den Lauf der Slowakin. „Petra ist wie verrückt gefahren. Ich habe gedacht, oh nein.“ Aber wie so oft trieb sie die Leistung von Vlhova an – und fuhr noch einmal schneller.
Während die beiden in jeweils einer eigenen Liga im Slalom fahren, ist das Feld dahinter in diesem Winter ein wenig näher zusammengerückt. Beim Kampf um Platz drei mischten am Sonntag auch zwei Deutsche mit. Christina Ackermann (Oberstdorf) verpasste als Fünfte wie in Killington knapp die Top drei – in den USA war sie Vierte geworden, aber mit größerem Rückstand auf die Dritte. In Lienz fehlten ihr nicht einmal zwei Zehntelsekunden zur Dritten Michelle Gisin aus der Schweiz. Lena Dürr (Germering) als Sechste war eine knappe halbe Sekunde hinter dem Podest. Marlene Schmotz (11./Leitzachtal), Marina Wallner (20./Inzell) und Jessica Hilzinger (21./Oberstdorf) komplettierten die gute Mannschaftsleistung. „Vor allem die Art und Weise, wie sie gefahren sind“, sagte Alpinchef Wolfgang Maier.
Shiffrin hat in Lienz mit ihren Weltcup-Siegen Nummer 63 und 64 die österreichische Rekordfrau Annemarie Moser-Pröll (62) überholt und nähert sich in der ewigen Bestenliste der Marke von Marcel Hirscher (67), der auf Platz drei liegt. Dass sie die noch in dieser Saison knacken wird, steht außer Frage – sofern sie gesund bleibt.
Sie wird gemessen an ihren Erfolgen, an der vergangenen Saison, in der sie 26 von 35 Rennen bestritt und 17 Mal gewann. Und sie hat sich bisher auch immer selbst daran gemessen. Eigentlich bedeutet es ja, „dass ich gescheitert bin, wenn ich nicht wieder 17 Siege hole“. Aber Shiffrin versucht nun, diesen Druck auszublenden. Nach dem Tief in Courchevel hielt sie sich vor Augen, dass es nur um Sport gehe. „Wir haben genug zu essen, ein Haus, Wasser zu trinken. Es ist nicht das Ende der Welt“, erkannte sie.
In dieser Saison hat Shiffrin erstmals in ihrer Karriere nicht ständig Mutter Eileen an ihrer Seite. Und das ist nur eine von vielen Veränderungen für sie innerhalb der vergangenen Monate. Die Trennung von Freund Mathieu Faivre eine weitere. „Ich fühle mich, als wäre ich am Anfang des Jahres noch 17 gewesen und jetzt bin ich 24.“ Bei Shiffrin geht selbst das Erwachsenwerden rasend schnell.