Rolf Fuhrmann, von allen „Rollo“ genannt, war im Mai 2019 privat beim DFB-Pokalfinale in Berlin. Zwei Jahre nach seinem Abschied vom Bildschirm hatte der Hamburger von seinem Erkennungswert nichts eingebüßt. Ob vormittags im KaDeWe oder später am Tag in der S-Bahn und vor dem Olympiastadion – alle paar Meter die Bitte um Selfies und Autogramme. Rollo-Rufe waren zu hören – und die Nachfragen, um die Bestätigung zu erhalten: „Der Sky-Reporter, ja?“ Ja.
Rollo Fuhrmann war der Mann, der 2001 den FC Schalke 04 fälschlicherweise zum Deutschen Meister ausrief – im Gelsenkirchener Parkstadion; das Spiel der Bayern in Hamburg war aber noch nicht zu Ende, sie schossen in der Nachspielzeit das Tor, das sie brauchten. Schalke war also nur ein virtueller Meister für drei Minuten gewesen. Fuhrmann wurde durch dieses Missgeschick noch ein wenig bekannter, als er es durch seine wöchentlichen Einsätze am Mikrofon direkt unten am Feld eh schon war. Er wurde zur Marke weit über seinen Sender hinaus. Sein Auftritt bei Markus Lanz, wo er über sein Leben in einer WG mit zwei deutlich jüngeren Frauen erzählte, war einer der lustigsten in der Geschichte des ZDF-Talks.
Rollo Fuhrmann ist erstaunlich bekannt geworden für einen Journalisten, der nie im frei empfangbaren Fernsehen arbeitete, sondern bei einem Sender, für den man extra – und nicht wenig – bezahlen muss. Er fing 1992 bei Premiere an, dem ersten Pay-TV-Angebot in Deutschland, das zwei Jahrzehnte benötigte, um sich an die Profitabilität heranzuarbeiten und erst nach diversen Umstrukturierungen und unter dem internationalen Dach von „Sky“ konstant sein Publikum fand. Andere Stars von Sky wie Fritz von Thurn und Taxis und Marcel Reif hatten ein Vorleben im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehabt – und waren schon Größen, als sie sich hinter die Bezahlschranke begaben.
Ihre Popularität ging dennoch nicht verloren – weil Premiere/Sky sich entwickelten: von einer bis auf vier Millionen Abonnenten. Vom komplizierten Decoder und der Röhre zur intuitiv zu bedienenden Box und dem Flatscreen. 2010 kam HD auf, man sah Schweißperlen auf den Fußballergesichtern, Grashalme an den Stutzen: Jetzt gibt es UltraHD und 4K, und man braucht nicht zu Hause zu sein, um ein Spiel zu sehen. Das geht auch auf dem Tablet oder dem Smartphone. Mit 5G ruckelfrei. Und natürlich kann man auch in eine Sportsbar oder zur Not ins Wettbüro gehen, weil dort Bundesliga oder Champions League läuft. Bei jeder technischen Entwicklung war Sky dabei und ein Gewinner. Sky ist der Fußballsender in Deutschland.
Doch könnte, wer jetzt Kommentator, Moderator oder Reporter bei Sky wird, noch so groß rauskommen? Ab 2021 ist Sky die Champions los. Und im nächsten Jahr auch in der Bundesliga (weitgehend) aus dem Spiel?
Demnächst wird die Deutsche Fußball-Liga (DFL), in der sich 1. und 2. Bundesliga organisieren, entscheiden, wem sie die Übertragungsrechte für den Zeitraum von vier Jahren ab 2021 überlässt. Bei früheren Vergaben war das Feld der Bewerber überschaubar. Es gab Pay-TV und Free-TV. Sky war als Anbieter von Bezahlinhalten konkurrenzlos und bot dennoch immer mehr, weil Fußball boomte und sich die Kunden damit binden ließen. Den Vereinen war immer wichtig, auch im traditionellen Fernsehen vertreten zu sein, am liebsten im Ersten und Zweiten, weil man den Sponsoren so die besten Kontaktzahlen bieten konnte.
Doch nun tauchen andere Player auf. Das Streamingportal DAZN, hinter dem die Perform Group in Großbritannien steht, hat ja schon das Eurosport-Bundesligapaket (Freitagabend, Sonntagmittags- und Montagsspiele) sowie Teile der Champions League übernommen und löst Sky 2021 in der Königsklasse komplett ab. Aufhorchen lassen hat die Deutsche Telekom, die für ihr Portal MagentaSport die Rechte an der EM 2024 kaufte – bisher hatte Magenta vor allem in die Nischen hinein (Eishockey, Basketball, Fußball-Frauenbundesliga und 3. Liga) expandiert. Sogar der Kurznachrichtendienst Twitter unternahm schon erste Sport-Experimente (Übertragung von American Football aus den USA), und genannt wird immer auch Amazon.
Von der Internet-Buchhandlung zum Weltkaufhaus zum Medienkonzern: Einen Fuß hat Jeff Bezos, Amazon-Gründer, schon in die Tür zum großen Markt Fußball-Bundesliga geschoben: Die Music-Sparte von Amazon hält ein Audio-Rechte-Paket. Man kann bei Amazon alle Spiele live anhören. Ein Komplett-Radio-Angebot.
Leute, die visionär denken, können sich vorstellen, dass Amazon im Fernsehfußball ganz groß einsteigt und ein Spiel Teil einer Verwertungskette sein wird. Wenn Bundesliga ansteht, bekommt der Amazon-Kunde auch gleich noch die Essenslieferung dazu angeboten. Mindestens.
Der Fernsehmarkt steht vielleicht vor Umwälzungen wie die Automobilbranche, in der Mercedes, BMW und Volkswagen ja auch vorhergesagt wird, sie müssten sich nicht nur mit dem neuen Wettbewerber Tesla auseinandersetzen, sondern auch noch mit Google oder Apple.
Uli Hoeneß träumte vor zwei Jahren mal laut davon, dass die Internationalisierung neue Quellen erschließen könnte „und 300 Millionen Chinesen ein Spiel des FC Bayern auf ihrem Smartphone anschauen und je einen Euro bezahlen“. Pay per view und Einzelvermarktung sind allerdings keine Option, die Bundesliga vermarktet sich weiterhin im Gesamten. Die sportliche Wertigkeit und Attraktivität eines Clubs werden bei der Aufteilung des TV-Geldes berücksichtigt – doch über allem steht das Solidarprinzip. So kassiert der FC Bayern als Serienmeister am meisten – doch allein aufgrund dieser Einnahmen könnte er sich nicht absetzen. Mönchengladbach etwa ist nur fünf Millionen entfernt.
Gerne wird in der Bundesliga gejammert, dass in England, Spanien und Frankreich das Fernsehen noch mehr springen lasse – doch das sind Klagen auf hohem Niveau. Selbst mittelständische Vereine wie Freiburg, Augsburg und Mainz sind durch den Verteilerschlüssel mit jährlichen Erlösen über 50 Millionen Euro gut versorgt. Es ist in etwa das Fünffache dessen, was sie klassisch aus dem Spielbetrieb durch den Verkauf von Eintrittskarten erlösen.
4,64 Milliarden Euro flossen im 2021 zu Ende gehenden Rechtezyklus an die Bundesligen, 1,16 Milliarden sind es diese Saison, 1,40 in der nächsten. Christian Seifert, der starke Mann in der DFL, will den Vereinen eine weitere Steigerung präsentieren – muss aber auch darauf achten, die potenziellen Zuschauer nicht zu verprellen. Eine Aufteilung jedes Bundesliga-Spieltags unter drei oder vier Anbietern, für die der Endverbraucher zahlen müsste, „würde die Schwelle des Erträglichen stark strapazieren“, sagte Seifert jüngst der „Welt“.
Und liefe die Liga bei Sky, der Telekom, DAZN und Amazon – wer könnte sich noch die Namen derer merken, die das Produkt präsentieren? Einen Rollo Fuhrmann gäbe es dann nicht mehr.
Einen großen Stadionauftritt könnte der Sky-Recke a.D. aber noch haben. Die alte Schalke-Geschichte. Sollten die Königsblauen doch mal Meister werden, so hat es Clemens Tönnies, der Bestimmer auf Schalke. Rolf Fuhrmann versprochen, „wirst du uns die Schale überreichen“.
Wenn es dann noch Fernsehen gibt, wie wir es kennen.