„Karl hat alle Möglichkeiten“

von Redaktion

Ex-Skisprung-Star Martin Schmitt setzt auf einen Tournee-Sieg von Geiger

München – Er war einmal selbst einer der besten Skispringer der Welt. Auch wenn Martin Schmitt bei der Vierschanzentournee nicht über zwei dritte Plätze hinaus kam. Heute verfolgt der 41-Jährige als Eurosport-Experte die Flüge seiner Nachfolger. Vor dem dritten Wettbewerb der Vierschanzentournee an diesem Samstag in Innsbruck (14.00 Uhr/ZDF und Eurosport) hat sich Schmitt auf seinen Favoriten an der Tourneespitze festgelegt, wie er im Interview betonte.

Herr Schmitt, Dreieinhalb Meter fehlen Karl Geiger zur Tourneespitze. Allerdings hat in den letzten zehn Jahren nur ein Halbzeitführender die Tournee noch verloren …

Dann wird es Zeit, dass die Statistik korrigiert wird (lacht). Klar geht es da jetzt auch um ein paar Kleinigkeiten. Du brauchst ein bisschen Glück mit den Bedingungen. Aber ich glaube, dass Karl alle Möglichkeiten hat. Er geht das ganz richtig an. Konzentriert sich auf sich und seine Sachen. So muss das sein.

Aber er hat mit Ryoyu Kobayashi einen mächtigen Gegner. Der jetzt auch noch den Druck los ist, Rekorde jagen zu müssen.

Ich glaube, mit den sechs Siegen in Folge hat er ein bisschen spekuliert, das ist schon etwas Besonderes. Aber wir wissen, er ist keiner, der sich großartig beeindrucken lässt. Aber ganz ehrlich: Ich sehe Karl momentan einen Tick besser als Kobayashi.

Was macht er besser?

Karl hat eine tolle Energie im Absprung. Die hat Kobayashi zwar auch, aber er ist mit seiner Aggressivität in der ersten Flugphase im Grenzbereich. Wenn ihm da ein Fehler unterläuft, dann kann er schon ins Wackeln kommen. Während Karl momentan mit einer ganz großen Präzision auftritt.

Ist das wieder eines der Beispiele, in denen es bei einem Springer einfach läuft – unabhängig davon, auf welche Schanze es geht?

Man hat zum Beispiel auch bei Stefan Kraft gesehen, dass es anders laufen kann. Er war auch gut drauf, wäre mit einer besseren Landung in Oberstdorf Zweiter gewesen. Und dann hat man doch wieder gesehen, dass er mit Garmisch nicht zurecht kommt. Er hat da ein paar Negativerfahrungen gesammelt, die offenbar einfach tiefer sitzen.

Karl Geiger wirkt allerdings so, als ob ihm momentan nicht viel etwas anhaben kann.

Das stimmt, er hat eine enorme Ruhe. Er weiß, was er zu tun hat, und macht keine großen Ansagen, sondern bleibt ganz bei sich.

Das erinnert auch ein bisschen an Sven Hannawald.

Damit schützt sich ein Springer ein bisschen selbst. Das ist der einfachste Weg: einfach nicht über Ergebnisse reden. So hat es Sven gemacht, und so ähnlich ist es bei Karl auch. Wobei man sich nicht täuschen lassen darf. Man hört es bei ihm schon in den Zwischentönen: Er will das Ding gewinnen. Und er hat die Überzeugung, dass er das Zeug dafür hat.

Im vergangenen Jahr war die Rolle des Mitfavoriten für Geiger noch eine Nummer zu groß. Was hat sich seither verändert?

Karl ist vor allem sehr selbstbewusst geworden. Wobei das eine längere Entwicklung ist. Er hatte nicht den einfachsten Weg, um in diese Position zu kommen. 2012/13 ist er mit Andi Wellinger in den Weltcup gekommen. Und während Andi gleich direkt durchgestartet ist, ging es bei Karl in kleinen Schritten weiter. Wobei er sich auch flugtechnisch enorm weiterentwickelt hat.

Wie schwer ist der Schritt vom Mitläufer zum Führungsspringer?

Das ist eine Sache, an die man sich eigentlich ganz gerne gewöhnt. Weil in dieser Position einfach die Ergebnisse passen. Karl haben die Siege in der letzten Saison sicher sehr gutgetan. So ein Springen wie in Willingen, wo er über die Hillsize springt und trotzdem einen Telemark setzt – das hat ihm viel Selbstvertrauen gegeben. Genauso natürlich wie die WM-Medaillen. Da weißt du einfach, du kannst vorne mitspringen.

Sind die WM-Springen in Innsbruck eine Erfahrung, die ihm nun beim Tourneespringen helfen können?

Doch, so etwas kann schon helfen. Das habe ich auch erlebt nachdem ich in Lahti Weltmeister geworden bin. Ich bin dann immer wieder gerne in Lahti gesprungen. Solche Dinge prägen sich ein, du hast gute Erinnerungen und gehst mit einem guten Gefühl hin. Das ist schon gut.

Anders als Kobayashi kennt Karl Geiger allerdings den Kampf um den Tourneesieg nicht. Wie schwierig wird der nun anstehende Weg nach Bischofshofen?

Wichtig ist, dass man auch da ganz bei sich ist und den normalen Abläufen treu bleibt. Mit der Überzeugung, dass du auch dort gut springen kannst. Ich glaube, dass es dabei hilft, dass es keinen Ruhetag mehr gibt. Du kommst nach dem Springen in Innsbruck abends spät ins Quartier, packst deine Sachen aus und gehst dann irgendwann schlafen. Und am nächsten Tag geht früh die Vorbereitung los, und dann geht es schon wieder auf die Schanze. Da hast du eigentlich wenig Zeit, viel über alles nachzudenken. Aber Karl ruht so in sich – ich glaube, dass er damit gut klarkommt.

Oder könnte der Sieger des Duells zwischen ihm und Ryoyu Kobayashi am Ende Dawid Kubacki heißen, der immerhin auch noch in Schlagdistanz ist?

Das ist natürlich auch noch möglich. Könnte schon sein, dass er der Dritte im Bunde ist, der bei uns momentan noch nicht so die Aufmerksamkeit bekommt. In Garmisch-Partenkirchen ist es bei ihm zunächst nicht so gelaufen. Am Ende war er doch wieder da und hat gezeigt, dass er auf einem ähnlichen Niveau springt wie die anderen beiden. Und Innsbruck ist eine Schanze, die er auch mag. Und trotzdem: Ich setze auf den Karl.

Interview: Patrick Reichelt

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