„Heimat“ ist ein großes Wort, und vor allem eines mit viel Interpretationsspielraum. In Bezug auf den FC Bayern kann es die Säbener Straße meinen, vielleicht auch die Allianz Arena, aber eher noch steht es für das Gefühl, das man „mia san mia“ nennt. Es heißt, dass man es spürt, wenn man Teil der Bayern-Familie ist, als Fan wie als Mitarbeiter, als Funktionär wie als Spieler. Und es heißt auch im Jahr 2020 und unter Neu-Vorstand Oliver Kahn, dass für den Erfolg dieses Vereins nichts wichtiger ist als die besondere emotionale Ebene.
Ja, man hatte sie gestern, die Momente, in denen man beim Lauschen der ersten Worte von Kahn als Amtsträger dachte, es spreche Uli Hoeneß. Er startete mit „viel Herzblut“, die Spieler sollen „sich bei uns wohlfühlen“ und der FC Bayern den Fans – ja genau – „eine echte Heimat“ sein. Die Basis zu bedienen, Traditionen zu leben – das sind romantische Fußballvorstellungen, die durchaus erstrebenswert sind. Nur weiß nicht zuletzt Kahn, dass der Spagat zu den echten Maßeinheiten in dieser Branche – Millionen auf dem Konto, Superstars im Kader – immer schwieriger zu bewältigen sein wird.
Hoeneß konnte an seinem Weg festhalten, weil er endlich war. Kahn hingegen ist gut beraten, sich selbst zu finden und klar zu positionieren. Das gilt für sein Schaffen im Vorstand des Klubs genau wie für seinen Auftritt nach außen. Quo vadis, FC Bayern? – das ist die Frage, die in den kommenden beiden Jahren bis zur endgültigen Machtübernahme des einstigen Welttorhüters mitschwingt. Herbert Hainer wird sie moderieren, deutlich mehr aber hängt die Antwort vom Wirken Kahns ab.
Meilensteine wird es auf dem Weg einige geben. Die Trainerfrage ist ein zentraler Punkt, genau wie die Transferpolitik im Sommer. In Kai Havertz, Leroy Sané und Philippe Coutinho sind drei 100-Millionen-Männer auf der Wunschliste, ein Umbruch im Kader steht bevor. Muss die dreistellige Marke fallen, um der von Scheichs und Oligarchen aufgepumpten Konkurrenz Paroli bieten zu können? Lohnt es sich überhaupt noch, in die Jugend zu investieren? Ist die Bundesliga zeitgemäß? Oder will man eine Super League? Wie viel Moderne verträgt Tradition? Wie viel Tradition verträgt Moderne?
Zwei Jahre Lehrzeit sind angesichts dieser Fragen nicht viel, zumal Kahn sich nebenher selbst als Chef finden muss. Die Emanzipation von Karl-Heinz Rummenigge ist dabei wichtig, überhaupt sollte ihm daran gelegen sein, niemanden zu kopieren. Man muss nicht entweder Hoeneß oder Rummenigge sein, um in diesem Verein etwas zu bewirken. Ein bisschen von beiden wäre mal was Neues – und hätte immer noch genug „mia san mia“.
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