Die Streif als Krisenhelfer

von Redaktion

An der Stätte des Triumphs will Josef Ferstl zur Form finden – Thomas Dreßen ist schon weiter

VON ELISABETH SCHLAMMERL

Kitzbühel – Der Zeitplan ist eng getaktet in den Tagen von Kitzbühel, da bleibt keine Zeit, sich auch noch um die Gondel zu kümmern. Thomas Dreßen stellte nach dem ersten Training für die Weltcup-Abfahrt am Samstag auf der Streif fest, dass er nicht auf die mit dem eigenen Namen warten werde, um auf den Hahnenkamm hinaufzukommen. „Ich fahre lieber mit anderen“, sagte er. Dreßen weiß, zu was er im Moment fähig ist, er muss sich nicht ständig seinen großen Triumph vor Augen führen – den Sieg 2018 bei der spektakulärsten Schussfahrt der Welt. Als Skirennfahrer haderte er in der Tiroler Gamsstadt erst einmal nur mit einem Missgeschick im Abschlusstraining am Donnerstag. Er habe plötzlich keinen Grip mehr gehabt, wäre deshalb beinahe im Streckenabschnitt Karussell gestürzt. „Ich bin kurz auf dem Oarsch g’hockt“, berichtete er, sein Ski sei „Schlangenlinien“ gefahren, und das sei hier „das Worst-Case-Szenario“. Doch grundsätzlich ist Dreßen – wie gesagt – gut drauf.

Bei Josef Ferstl, dem anderen noch aktiven deutschen Kitzbühel-Sieger, ist das ein bisschen anders. Er hadert im Moment mit sich, seiner Form – und versucht nun, zwölf Monate nach seinem Triumph im Super-G, „das Gefühl der letzten Jahre wieder herzuholen“.

Eine Fahrt mit seiner Gondel gehörte zu dieser Therapie vor dem heutigen Super-G und der Abfahrt am Samstag nicht, da habe er Sorge, gab Ferstl zu, „dass ich zu viel verpasse“, wenn er darauf warte. Aber rund um diese Hahnenkammrennen wird der 31-Jährige auch sonst oft an seinen Erfolg erinnert. „Überall hängen Bilder von mir“, sagt er. Es scheint tatsächlich so, als ob die Rückkehr nach Kitzbühel Ferstl guttut. Er wirkt aufgeräumt, scherzte mit seinen Kindern im Zielraum und ist zuversichtlicher als eine Woche zuvor in Wengen. Da war er ratlos gewesen, angesichts seiner Leistung in der Abfahrt (Platz 47). „Es fehlt einfach der wirkliche Zug, Wille – keine Ahnung“, sagte er.

Der Verlust des Selbstvertrauens passierte schleichend in diesem Winter. Dabei war Ferstl nach dem Handbruch, den er sich Ende Oktober im Training zugezogen hatte, in Lake Louise gut in die Saison gestartet. Ein 14. Platz nach nur ein paar Übungsfahrten war verheißungsvoll, aber schon eine Woche später in Beaver Creek, gab Ferstl zu, sei er überfordert gewesen, die Schussfahrt in Gröden fiel aus, beim Super-G hat zwar das Gefühl gepasst, nicht aber der Speed. Und in Bormio, auf einer der schwierigsten Stecken im Weltcup, fehlte schließlich bereits komplett die Überzeugung. „Man will einfach immer mehr, aber vielleicht ist das der falsche Ansatz, dieses Zu-sehr-mit-der-Brechstange“, erkannte er in Wengen.

Es spricht für ihn, dass er die Gründe erst einmal bei sich sucht. Ferstl ist keiner, dem ein Triumph wie der auf der Streif zu Kopfe steigt. „Es ist ein Ritterschlag, in Kitzbühel zu gewinnen“, hatte Ferstl Anfang der Woche bei ServusTV zwar gesagt. Aber für ihn ist es kein Grund, sich darauf auszuruhen: „Das war einmal, das ist Geschichte.“

Eine Idee, woran es liegen könnte, hatten andere in der Alpin-Abteilung des Deutschen Skiverbandes. „Pepi hängt durch, weil er mit dem Material-Setup nicht zurechtkommt“, hatte Maier nach den Lauberhornrennen gesagt. Die Abstimmung zwischen Ski, Bindung und Schuh spielt bei Rennläufern fast so eine große Rolle wie technische Fähigkeiten, Risikobereitschaft und mentale Stärke. Wegen der Handverletzung verpasste Ferstl ein paar Skitests in Übersee.

Dazu kommt, dass sich für ihn nicht nur das Trainerteam veränderte. Seine Skifirma stellte ihm nach dem Kitzbühel-Sieg einen eigenen Servicemann zur Verfügung – Heinz Hämmerle, der ist einer der Besten der Branche. Der Vorarlberger hat bisher die Skier der zurückgetretenen Lindsey Vonn präpariert und davor die von Bode Miller. Hämmerle kenne Dinge, von denen man vorher noch nie etwas gehört habe, stellte Ferstl fest, „aber man muss sich halt erst zusammenraufen“.

Vor Kitzbühel beschlossen der zweimalige Weltcup-Sieger und Hämmerle, nun die Skier vom Vorjahr herauszuholen – das hatte Konsequenzen. Beim Abschlusstraining „habe ich in ein paar Passagen gespürt: Das bin wieder ich“, sagt Ferstl. Als 22. war er schneller als Dreßen – eine ganz neue Erfahrung in dieser Saison.

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