Vorbild wider Willen

von Redaktion

Julia Taubitz sticht im kriselnden deutschen Rodel-Team heraus

VON HANNA RAIF

München – 21 Jahre, das ist eine lange Zeit, und Namen wie Silke Kraushaar; Sylke Otto und Barbara Niedernhuber wirken heute auch nicht mehr brandaktuell. Tatjana Hüfner und Natalie Geisenberger, die sind noch im Kopf, denn die beiden deutschen Rodel-Ikonen haben erst vor dieser Saison aufgehört (Hüfner) beziehungsweise eine Babypause eingelegt (Geisenberger). Sie alle eint, dass sie gemeinsam für eine Serie stehen, die relativ beeindruckend ist. Insgesamt 21 Mal, also von 1999 bis 2019, hat eine von ihnen den Gesamt-Weltcup gewonnen. Julia Taubitz lacht, als sie sagt: „Ja, das ist schon ein bisschen Druck. Denn ich will diese Bilanz ja für mein Land fortführen.“

Taubitz ist 23 Jahre alt, und im deutschen Rodeln ist sie angesichts der Wettkampf-Pausen von Geisenberger und Dajana Eitberger im Moment die „Grande Dame“. Sie selbst versucht, diese ungewohnte Rolle gelassen zu nehmen, nicht immer aber gelingt es ihr so gut wie auf der Bahn, wo sie nach zwei Siegen und zwei dritten Plätzen vor dem Weltcup am Wochenende in Sigulda gerade mal 32 Zähler hinter der führenden Russin Tatjana Iwanowa liegt. Es ist vor allem das Drumherum, das anstrengend ist für die gebürtige Sächsin, die im Vorjahr unverhofft zu WM-Silber raste. „Das Teenie-Sein ist noch in mir drin“, sagt sie und gibt auch offen zu: „Die Vorbild-Rolle kommt für mich etwas zu früh.“

Immerhin hat Taubitz selbst ja von Geisenberger und ihrer langjährigen Zimmerkollegin Hüfner lernen und an deren Erfahrung wachsen können. In Jessica Tiebel (21), Anna Berreiter (20) und Chayenne Rosenthal (19) stehen ihr nun Kolleginnen zur Seite, die ihr gerne über die Schulter schauen würden. „Ich habe die Großen immer angehimmelt, das fehlt mir jetzt natürlich“, sagt Taubitz. Zwar sei sie im Team von Bundestrainer Norbert Loch nun „diejenige mit der meisten Weltcup-Erfahrung. Aber für die Jüngeren ist es jetzt nicht ganz so gut wie für mich früher.“

Taubitz kommt auf dem Weg zur WM (14. bis 16. Februar) in Sotschi immer besser in Fahrt, allerdings, sagt sie, müsse sie auch noch viel auf sich selbst schauen. Es macht sie stolz, wenn Loch sie als „nervenstark“ bezeichnet, und ehrlich gesagt ist sie manchmal auch selbst überrascht von ihrer Abgezocktheit. Wenn aber – wie zuletzt in Lillehammer, wo ihr dritter Platz das einzige deutsche Podium war – das BSD-Team in der Generalkritik steht, nimmt sie sich selbst nicht aus. „Auch bei mir sind nicht alle Läufe fehlerfrei.“

Man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass das deutsche Rodel-Team – bis auf Taubitz – in der Krise steckt. Der 14. Rang von Felix Loch in der Vorwoche spricht Bände, und Taubitz hat Bedenken, dass an den richtigen Stellschrauben kurzfristig gedreht werden kann. „Die anderen sind besser geworden und wir sind ein bisschen stehen geblieben“, sagt die Sportsoldatin. Sie hofft, „dass wir langfristig eine Lösung finden, da müssen die Trainer vielleicht neue Methoden ausprobieren.“ Die Gefahr besteht, dass man in diesem Olympiazyklus den Anschluss verliert.

In Peking übrigens würde Taubitz am liebsten wieder mit Geisenberger und Eitberger an den Start gehen. Jetzt gebe es für die Bald-Mamas erst mal Wichtigeres zu tun, „aber ich würde mich freuen, wenn sie zurückkommen“, sagt sie. Als Vorbilder. Oder womöglich auf Augenhöhe mit der 22. deutschen Gesamt-Siegerin Taubitz?

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