„Die Ohren klingeln“, das ist ja so eine herrliche Formulierung, und als Uli Hoeneß sie vor einem knappen halben Jahr getätigt hatte, stellte man sich das durchaus bildlich vor. Vor Augen hatte man also den Bundestrainer Joachim Löw, panisch und aufgeregt, voller Reue und dem unbedingten Willen, es bei seinen Freunden aus München wieder gutzumachen. Was hat sich dieser Mann auch dabei gedacht, den unantastbaren Manuel Neuer in ein künstliches Torwart-Duell mit Marc-Andre ter Stegen zu schicken? Unerhört! Kein halbes Jahr nach der Aussage des damals erbosten Noch-Präsidenten Hoeneß („Der wird jetzt schon hören, was wir alles gesagt haben, dem werden die Ohren klingeln“) haben die Bayern in Alexander Nübel selbst einen Konkurrenten für Neuer verpflichtet. Aber das sei nur am Rande erwähnt.
Viel wichtiger ist, dass auch die Töne in Richtung Löw seit Hoeneß’ Ausscheiden etwas leiser geworden sind. Karl-Heinz Rummenigge hält es da anders als sein langjähriger Weggefährte, weniger emotional, er übt sich gerne in Diplomatie. Und trotzdem darf man die Worte, die der Clubboss nun zum konkreten Fall des ausgemusterten Thomas Müller los wurde, derart deuten, dass er Löw durchaus zu einer Rolle rückwärts rät. Aktuell ist Thomas Müller ja immerhin der beste Vorbereiter der Liga, auf der Scorerliste rangiert er auf Rang fünf. Kann man so jemanden wirklich ausmustern?
Aus München wird dem Bundestrainer „möglicherweise“ ein „Umdenken“ nahegelegt. Bewusst frühzeitig, aber genauso bewusst vorsichtig formuliert. Löw ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass diese Nebengeräusche die Vorbereitung auf das Großereignis im Sommer kontinuierlich begleiten werden. Dass Thomas Müller in seiner zweifellos großen Karriere in 867 EM-Minuten genau null Tore und eine einzige Vorlage gelungen sind, interessiert in einer Debatte wie dieser niemanden. Es geht um den Müller-Thomas, das Idol aller Bayern-Fans, den Sympaticus aus München. Löw hat in dieser Causa schon längst verloren.
Um sie trotzdem nüchtern zu betrachten: Nicht nur Müller selbst (Zitat: „Spiel für die Medien“) hat erkannt, dass im Moment ein bisschen zu viel Feuer drin ist. Ja, er ist gut in Form, hat wieder Spaß an seiner Arbeit und wird seinen Vertrag in München wohl bald verlängern. Aber er ist auch Realist. Wer Löw kennt, weiß, dass er niemals zurückrudert. Da können die Ohren noch so klingeln.
Hanna.Raif@ovb.net