Saalbach-Hinterglemm – Natürlich durfte die Mama dabei sein. Und die Freunde auch. Bei Thomas Dreßen gibt sich Österreich gerne als guter Verlierer – und ließ gestern den kleinen Fanclub in den Innenraum, damit dieser bei der Siegerehrung hautnah dabei sein konnte. Zuvor war sogar der Präsident des Österreichischen Skiverbands zum Gratulieren vorbeigekommen. Peter Schröcksnadel hatte gute Miene dazu gemacht, dass Dreßen in der alpinen Königsdisziplin die Athleten aus Austria mittlerweile deutlich abgehängt hat. Der gestrige Triumph des Mittenwalders bei der Weltcup-Abfahrt in Saalbach-Hinterglemm war nach dem in Lake Louise im vergangenen November und dem in Garmisch-Partenkirchen vor zwölf Tagen bereits der dritte der Saison – und der zweite Abfahrtssieg in Serie (was vor ihm noch kein Deutscher schaffte). In diesem Winter hat kein anderer Schnellfahrer im Weltcup häufiger gewonnen. „Ich genieße es im Moment und habe brutal viel Spaß“, sagte Dreßen. „Es läuft einfach gut.“
Allerdings wäre es am Zwölferkogel beinahe schief gegangen für Dreßen. Kurz nach der ersten Zwischenzeit hatte er kurz die Kontrolle über den Außenski verloren und konnte mit Mühe einen Sturz verhindern. „Da war ich froh, dass der Ski noch dran war.“ Im Nachhinein, stellte er fest, „habe ich mir ja noch eine gute Stelle ausgesucht“. Der 26-Jährige ließ sich nicht beirren, nahm sich vor, „ich fahre wie geplant weiter“. Als er im Ziel mit Bestzeit abschwang, fasste er sich an den behelmten Kopf: „Ich habe gedacht: Spinn’ ich, oder was? Mit dem Schnitzer …“
Fehlerfrei hat die Strecke, mit der sich Saalbach-Hinterglemm als Konkurrent von Garmisch-Partenkirchen für die Austragung der Ski-WM 2025 bewirbt, keiner bezwungen. Aber Dreßen „hat den Speed am besten mitgenommen. Vom Instinkt her ist er einer der Besten“, lobte Beat Feuz den Konkurrenten, der sieben Hundertstelsekunden schneller war und ihn damit auf den zweiten Platz verdrängte. Der Schweizer führt vor den letzten beiden Abfahrten im Disziplin-Weltcup mit 194 Punkten Vorsprung – und damit fast uneinholbar – vor Dreßen. Hinter Feuz reihten sich gestern drei weitere Schweizer ein, erst auf dem sechsten Platz landete in Vincent Kriechmayr der beste Österreicher. Vor fünf Jahren, bei der letzten Abfahrt am Zwölferkogel, hatten noch die Lokalmatadoren dominiert, die Plätze eins, zwei und drei belegt. Der damalige Sieger Matthias Mayer, einziger rot-weiß-roter Abfahrtssieger in diesem Winter, wurde dieses Mal nur Elfter.
An jenem Februartag 2015 gab unbeachtet von der damaligen Weltelite mit der Startnummer 53 ein junger Deutscher sein Weltcup-Debüt: Thomas Dreßen, er landete auf dem 39. Platz. „Das war eh gar nicht so schlecht“, findet er heute. Allerdings waren nur insgesamt 52 Läufer im Ziel klassiert. Schon damals, so erinnerte er sich, musste er ein Interview im Zielraum geben. Aber nicht, weil die Österreicher ahnten, dass dieser junge Abfahrer ihren Athleten einmal gefährlich werden würde. Es hatte vielmehr regionale Gründe, denn Dreßen hatte fünf Jahre lang das Skiinternat im rund 30 Kilometer entfernten Saalfelden besucht.
Auch diesmal war es für den Bayern eine Reise in die Vergangenheit. Vor dem Rennen traf er einen ehemaligen Trainer aus dem Internat, einige Klassenkameraden von einst sind im Gemmtal zu Hause und waren auf der Tribüne. „Ich bin mir vorgekommen wie damals in der Schule“, sagte Dreßen und kündigte an, nach dem Super-G an diesem Freitag mit den alten Freunden „ein bisserl feiern“ zu wollen. So wie er es vor knapp zwei Wochen in Garmisch-Partenkirchen mit seinen Spezl aus Kindheitstagen gemacht hatte. Wer kann schon von sich sagen, zwei Heimsiege in zwei unterschiedlichen Ländern geschafft zu haben.