„Vom Aufhören bin ich weit entfernt“

von Redaktion

Felix Loch über eine Krise, die keine ist, Schumacher als Vorbild und realistische Gold-Chancen

Sotschi/München – Mit den Sprint-Wettbewerben beginnt heute im russischen Sotschi die Rodel-WM – und das Ziel für Felix Loch ist klar. Obwohl der einstige Dominator in dieser Saison noch ohne Weltcup-Sieg ist, peilt er Edelmetall an. Gewinnt der 30-Jährige gar, wäre er mit seinem siebten WM-Titel alleiniger Rekordhalter. Ob das wichtig ist? „Alles ganz entspannt“, sagt er im Interview.

Herr Loch, erst neulich hieß es in einem Artikel über Sie: „Glücklich – auch ohne Sieg.“ Stimmt das?

Sagen wir mal: Jein. Natürlich wäre es schön gewesen, mal zu gewinnen oder auf dem Treppchen zu stehen. Aber es hat in diesem Winter noch nicht sein sollen. Gerade in den letzten Rennen war das ärgerlich, weil es durch das Wetter bedingt ganz schöne „Startnummern-Rennen“ waren, dazu kamen Fahrfehler. Aber trotzdem fühle ich mich besser als in den Jahren zuvor.

Wirklich?

Ja, weil – auch wenn die Platzierungen nicht stimmen – das Gesamtpaket besser ist. Ich bin trotzdem mit dem Winter ganz zufrieden.

Was spielt in dieses Gesamtpaket rein?

Das Material passt besser, da haben wir viel ausprobiert und einen guten Schritt nach vorne gemacht, auch mit Blick auf Olympia 2022. Außerdem habe ich auch wieder ein besseres Gefühl auf dem Schlitten. In den Jahren zuvor hat das oft nicht gepasst.

Sind Sie also tatsächlich in der Lage, um den WM-Sieg mitzufahren?

Puh (überlegt). Wenn alles zusammenpasst, auf jeden Fall. Man darf aber nicht vergessen, dass die Russen es uns auf ihrer Heimbahn mit Sicherheit nicht einfach machen werden. Dazu die Österreicher, Italiener – Sie merken schon: Es sind einige, die da vorne um die Medaillen mitfahren. Ich gehe von einem spannenden Männer-Rennen aus.

Sie könnten mit Ihrem siebten WM-Titel alleiniger Rekordhalter werden. Ist das ein Ansporn?

Gar nicht, ehrlich gesagt. Wenn es so ist, dann ist es so. Wenn nicht, dann nicht. Und so oder so kann in ein paar Jahren jemand anderes kommen, der noch öfter gewinnt. Ich würde den Rekord aber natürlich mitnehmen (lacht).

Ist die Vorjahressaison Ihr Ansporn? Auch da gab es ja bis zur WM keinen Sieg – und dann Gold.

Natürlich. Es hätte mir schon noch mehr Selbstvertrauen gegeben, wäre ich mal vorher auf dem Podest gestanden. Aber es ist nicht so, dass ich hinterherfahre und nicht weiß, warum. Es gibt eindeutige Gründe, deshalb gehe ich sogar mit einem besseren Gefühl in die WM als im letzten Jahr.

Allein bei der Liste der Mitfavoriten sieht man, dass die Spitze viel enger zusammengerückt ist.

Da gibt es deutlich mehr als vor fünf, sechs Jahren, die gewinnen können, unter anderem auch Johannes Ludwig. Das macht das Ganze aber doch interessanter und spannender. Es hört sich vielleicht blöd an, aber: Ich habe da gar nichts dagegen.

Haben die anderen nicht nur auf-, sondern gar überholt?

Die anderen Nationen sind definitiv besser geworden, das kann man nicht bestreiten. Die Österreicher haben zum Beispiel unheimlich in die Materialrichtung investiert, die Russen in alles. Viel Know-how ist ins Ausland gegangen, viele deutsche Trainer sind im Ausland tätig. Jetzt sieht man diese Breite, die sich entwickelt hat.

Hat das deutsche Rodeln – lange erfolgsverwöhnt – sich einen Vorwurf zu machen?

Das kann man mit Sicherheit immer, aber wir sollten es nicht übertreiben. Wir sind relativ gut aufgestellt, sowohl beim Material als auch beim Athletischen. Wir hinken nicht hinterher! Aber die anderen haben aufgeholt. Wir sind jetzt deshalb auf einem relativ gleichen Level. Das macht das Ganze jetzt für uns kompliziert – und wird in den nächsten Jahren noch interessanter werden. Und wenn wir „Alten“ es irgendwann mal sein lassen, wird es nicht einfacher werden.

Sie sagen immer: Stillstand ist Rückstand. Was tüftelt man nach 14 Wettkampfjahren noch?

Da gibt es genug! Am Material, an der Fahrspur, an der Athletik gibt es immer etwas zu tun. Man macht sich natürlich mehr Gedanken, wenn es gut läuft. Aber das ist ein Trugschluss. Ich finde, man muss immer etwas probieren, um weiterzukommen.

Ihr letzter Sieg liegt mehr als ein Jahr zurück. Was macht denn mehr Spaß: Serien-Siege oder einer, der nach mehr als 365 Tagen endlich gelingt?

Das ist schwer zu sagen. Es hat schon was, wenn man nach einem ersten Lauf einen schönen Vorsprung hat und ganz entspannt in den zweiten gehen kann. Andererseits macht es auch Spaß, wenn es eng ist. Wenn man um jedes Hundertstel kämpfen muss, um am Ende vorne zu sein. Beides hat seinen Reiz.

Auch, wenn man der Dominator war – und dann plötzlich Konkurrenz hat?

Natürlich ist es einfacher, wenn man zehn Jahre hinterherfährt und dann noch ein elftes – dann ist es auch schon egal (lacht). Aber wenn man wie ich zehn Jahre lang vorausfährt und dann mal ein Jahr nicht vorne weg – dann schaut das gleich von außen schlecht aus. Dabei können es Externe schlecht beurteilen, und ich sage: Das ist der Sport. Es geht nicht nur nach oben! Es geht auch immer mal einen Schritt zurück. Damit muss man klarkommen. Auch ich. Beim nächsten Rennen kann es schon ganz anders aussehen.

Gab es nie den Moment, in dem Sie verzweifelt sind?

Man macht sich natürlich Gedanken, aber ich bin erfahren genug, um mit Rückschlägen umzugehen. Es kann nicht immer nur nach oben gehen, es muss auch mal nach unten gehen. Diesen einen Moment gab es nicht. Und ich habe wirklich auch nie daran gezweifelt, dass ich noch rodeln kann.

Hat sich der Fokus durch das Leben als Familienvater geändert?

Nein, diese Theorie finde ich auch immer unpassend. Natürlich ist es wichtig, dass zu Hause alles läuft, dass man sich keine Gedanken machen muss. Aber das funktioniert wunderbar bei uns, meine Frau hat alles im Griff. Ich freue mich riesig, wenn ich heimkomme – aber das war vor den Kindern auch so. Es ist nichts anders als vorher.

Arbeiten Sie mit Mentaltrainer?

Nein, gar nicht.

Dann nach einem bestimmten Vorbild?

Natürlich ist Georg Hackl mein Vorbild. Aber ich bin auch ein Michael-Schumacher-Kind. Der hat mich immer fasziniert, das tut er immer noch. Ich habe mir die Rennen immer angeschaut, egal um wie viel Uhr, egal wie alt ich war. Ich war ab und an echt müde in der Schule (lacht). Das Akribische, das Detailverliebte habe ich mir abgeguckt. Und auch nach mehr als einem Jahrzehnt nicht verloren.

Schöpfen Sie Ihre Kraft aus der Routine?

Definitiv. Es ist vielleicht übertrieben zu sagen, dass ich einen ganz normalen Job betreibe. Aber es ist ein Job. In jedem Job kriegt man Routine, man kennt die Abläufe, Tag für Tag, Woche für Woche. Das läuft kontrolliert.

Sie sagten einst, Sie wollen nicht mehr rodeln, wenn Sie nur noch um Platz zehn mitfahren. Ist dieser Moment schon gekommen?

Nein. Ich habe immer gesagt: Wenn es nicht passt, passt es nicht mehr. Aber es passt noch! Ich sehe es ja im Training, auch bei dem einen oder anderen Rennen. Vom Aufhören bin ich noch ein großes Stück entfernt.

Wie weit gehen Ihre Planungen?

2022 steht, darüber brauchen wir nicht reden. Danach schauen wir uns das Ganze an, wie es mir gesundheitlich geht, wie es nach dem Sport weitergehen soll. Da muss dann schon alles passen.

2026 wäre eine Option?

Natürlich, Mailand und Cortina reizen mich total. Aber es kann gut sein, dass ich im nächsten Olympia-Zyklus von Jahr zu Jahr denke. Da lasse ich mich selber überraschen.

Und dann darf sich der Rodel-Nachwuchs auf Ihren neuen Trainer Felix Loch freuen?

Das ist eine ernsthafte Überlegung, wobei ich nicht den Job von meinem Vater (Bundestrainer Norbert Loch/d.Red.) machen will. Eine ganze Mannschaft zu führen, ist nicht mein Ding. Ich sehe mich eher an der Bahn, mit einzelnen Sportlern. Natürlich ist der Verband bedacht, sich gute Sportler zu halten. Einem Externen unseren Sport nahezubringen, ist wirklich sehr, sehr schwer.

Müssen Ihre Kinder eigentlich schon rodeln?

Was heißt müssen (lacht)? Am Holzschlitten sind sie natürlich schon gesessen. Aber wir sind offen: Wenn sie Biathlon machen wollen, sollen sie das machen. Wenn sie nicht im Sport bleiben wollen, auch okay. Aber vor dem Computer werden sie auf keinen Fall den ganzen Tag sitzen.

Aber am Wochenende dürfen Sie vor dem Fernseher sitzen und den Papa anfeuern, oder?

Auf jeden Fall. Und: Das müssen sie sogar (lacht).

Interview: Hanna Raif

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