Kraftverlust kurz vor dem Gipfel

von Redaktion

Geschäftsführer Scharold erklärt seinen angekündigten Ausstieg bei 1860

VON ULI KELLNER

München – Michael Scharold hatte es fast geschafft, doch dann kam sie noch, die Frage nach Hasan Ismaik, der den im Sommer scheidenden Finanzchef von Anfang an kritisch gesehen hatte. Scharold sei „zu weich“, hatte der 1860-Investor im Januar 2018 gelästert, er sei vom Naturell her eher „ein Buchhalter“ als ein Geschäftsführer, der eine KGaA wie jene des TSV 1860 voranbringen kann. Nun also, zwei Jahre später, sollte Scharold, 39, selber sagen, ob er der Ansicht ist, Ismaik von sich überzeugt zu haben. Sein Blick wanderte nach rechts, wo Vereinsvize Hans Sitzberger saß, dann nach links, wo Anthony Power als Vertreter der Ismaik-Seite Platz genommen hatte – und Scharold beschied dem Fragesteller: „Wir arbeiten zusammen. Das ist, was ich sagen kann. Was die Gesellschafter für ein Urteil über mich bilden, da müsste man sie selber fragen. Ich hoffe natürlich, dass es nicht zu schlecht ist.“

Wie Scharold selber sein Wirken bewertet, hatte er in den 30 Minuten zuvor dargelegt und dabei nicht mit freundlichen Worten gespart – auch nicht für das, was sich aus seinem Mund wie eine Erfolgsgeschichte anhört. Ziel sei ja gewesen, nach dem „Überlebensjahr“ 2017/18 einen „Konsolidierungskurs“ einzuschlagen. Scharold nennt ihn mittlerweile „Gesundungskurs“ – „weil das nicht so negativ behaftet ist“. Ziel dieses Kurses sei jedenfalls, einen wettbewerbsfähigen Profikader zu bauen, der mit Geldern auskommt, die der Drittligist „aus eigener Ertragskraft erwirtschaftet“, sprich aus Sponsorerlösen, TV-Geldern und Einnahmen durch den Ticketverkauf. „Und wenn man sich die Zahlen anschaut“, so Scharold, „dann können wir wirklich stolz sein auf das, was wir in den vergangenen zwei Jahren erreicht haben.“ Explizit führt er „Einsparungen im Reisekostenmanagement“ an – und Streichungen im Bereich des Nachwuchses, „die vielleicht auch Luxus waren für einen Drittligisten“.

Eine Million Euro habe der sportliche Gesamtetat im Jahr nach dem Doppelabstieg betragen. Dieser sei sukzessive auf 4,5 Millionen angehoben worden, aber immer noch 1,5 Millionen Euro vom Idealziel für die kommenden zwei, drei Jahre entfernt. Scharold sagt: „Es ist eine gute Entwicklung, aber man muss auch ganz klar sagen: Wir sind noch nicht da, wo wir stehen wollen. Wenn wir sagen: Wir wollen den Gesundungskurs bis zum Ende fahren, dann müssen wir den eingeschlagenen Weg konsequent weitergehen.“

Zum Beispiel mittels einer Kapitalmaßnahme, die der scheidende Finanzboss dringend empfiehlt. „Ich glaube, es ist ein guter Zeitpunkt, um bei unserem Verein zu investieren“, wirbt Scharold, der weiterhin die Wir-Form wählt, wenn er über 1860 spricht. Die Idee, beispielsweise einen dritten Gesellschafter ins Boot zu holen, sei auch deswegen nötig, um nicht auch in Zukunft von Sondereffekten wie spontanen Ismaik-Zuwendungen oder einmaligen Ablösebeteiligungen abhängig zu sein.

Um den Ist-Zustand der Löwen zu beschreiben, wählt der Chiemgauer ein Beispiel aus dem Alpinismus. „Wir sind jetzt bei 75 Prozent“, sagt er, „aber Bergsteiger kennen das: Die letzten 25 Prozent des Weges sind die anstrengendsten.“ Aber, glaubt er: „16 von 20 Drittligisten“ seien noch nicht so weit wie die Löwen bei ihrer Planung der kommenden Saison. „Mit dem Budget, das wir für uns definiert haben, sind wir vermutlich am Ende der oberen Hälfte in der 3. Liga.“ Wobei die Liga zeige, dass Clubs mit höherem Budget schlechter dastehen – und umgekehrt.

Stellt sich die Frage: Warum verlässt einer die Löwen, der, wie er selbst sagt, „zum ersten Mal seit was-weiß-ich-wie-vielen Jahren einen gesundeten Verein vor sich“ sieht? Scharold gibt zu, dass ihn die komplexe Aufgabe bei 1860 binnen zwei Jahren ausgezehrt habe. „Man braucht für diesen Job 120, 160 Prozent“, erläutert er: „Im Herbst habe in mich reingehört und gemerkt, dass die Batterien nicht mehr so aufgeladen sind, wie sie sein sollten. Da wird auch keine Sommerpause helfen, um sich diese Energie zurückzuholen.“ Um das von ihm skizzierte Bild aufzugreifen: Da sieht jemand den Gipfel vor Augen – und kehrt trotzdem um, weil er ahnt, für die letzten Meter seine Gesundheit aufs Spiel setzen zu müssen.

Und noch ein schönes Bild skizziert Scharold. Er sieht 1860 „als Rennsportauto – und da muss eben häufiger der Motor gewartet und eine Schraube gewechselt werden“. Er selber sieht sich als kleines Schräubchen und hofft darauf, dass die „unfertige“ Aufgabe ein anderer vollendet. Scharold ist sich sicher: „Wir haben eine super Basis geschaffen für denjenigen, der nachkommt.“

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