Dass Jupp Heynckes in Schwalmtal zum Telefon greift und bei seinem alten Arbeitgeber anruft, kommt im Alltag nicht allzu oft vor. Außer: Es liegt ihm wirklich etwas am Herzen. So wie in den vergangenen Wochen. Denn da war Jupp Heynckes tatsächlich penetrant.
Es ist kein Geheimnis, dass es zum Amtsantritt von Hansi Flick mehrere Gespräche mit jenem Trainer gegeben hat, der als bis dato letzter seiner Zunft für Ruhe und Kontinuität an der Säbener Straße stand. Flick suchte Heynckes’ Rat, Heynckes half gerne – weil er sich schon im Oktober sicher war, dass dieser so unverhofft auf den Chefposten versetzte Mann der Richtige ist. Es war ihm daran gelegen, diesen Eindruck auch in der Chefetage loszuwerden. Immer und immer wieder. Seit Dienstag darf man ihm dazu gratulieren, dass es gelungen ist.
Die Bayern werden also weiter auf Hansi Flick setzen, davon darf man seit der theatralischen Stift-Übergabe von London ausgehen. Letzte Überzeugungsarbeit hat mit Sicherheit das 3:0 bei Chelsea geleistet, ausschlaggebend für die wegweisende Entscheidung aber war nicht diese eine Partie. Flick hat mit der Entwicklung des Teams seit seinem Start im Herbst eine mustergültige Bewerbung abgegeben, die kein anderer Trainer auf diesem Kontinent toppen konnte. Und in den Bossen ist die vollkommen richtige und für die Zukunft wichtige Erkenntnis gereift, dass es für ein funktionierendes Ganzes keinen großen Namen braucht. Nicht mal beim FC Bayern.
Vielleicht wäre eine Verpflichtung von Thomas Tuchel spektakulärer gewesen, vielleicht hätte auch Erik ten Hag mehr Strahlkraft gehabt – allein der Blick auf die vergangenen Jahre aber lehrt, dass Trainer mit Star-Status nicht unbedingt förderlich für das große Ganze waren. Carlo Ancelotti und Niko Kovac gehen als gescheiterte Experimente in die Geschichte ein. Und dass Karl-Heinz Rummenigge Flick den Ball nun offensiv und vor allem öffentlich zuwarf, zeigt, was man ihm zutraut.
Die im Umbruch fast verlorene Philosophie dieses Clubs hat Flick wiedergefunden. Er hat eine Stammelf geformt, der man Großes zutrauen kann. Und er verfügt nicht nur über die nötige Ruhe, sondern genießt auch den notwendigen Respekt bei den Spielern, Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Rummenigge vergleicht Flick nicht umsonst mit Heynckes – dem penetranten Fürsprecher, Triple-Trainer und Menschenkenner. Die Standleitung aus Schwalmtal hat sich gelohnt.
Hanna.Raif@ovb.net