Ohne Wut in den Showdown

von Redaktion

Lochner will Friedrich Hattrick versauen – und sagt vor Bob-WM-Showdown: „Gold ist drin“

VON HANNA RAIF

München/Altenberg – Die Nacht dazwischen muss man mögen, und Johannes Lochner hat sie schon in allen Varianten erlebt. Es gab Großereignisse, da führte der Berchtesgadener Bob-Pilot zur Halbzeit, es gab aber auch solche, bei denen er nach zwei von vier Läufen schon so gut wie abgemeldet war. Für dieses Wochenende hat er daher ein Wunsch-Szenario parat: zwei solide Durchgänge am Samstag, zwei überragende am Sonntag. Dann ist die Nacht ruhig – und eine Medaille in der Viererentscheidung bei der Heim-WM in Altenberg so gut wie garantiert.

„Es geht da um die Psyche“, sagt der 29-Jährige, und erinnert sich freilich noch bestens an die Zweier-WM vergangene Woche. Da lag er zur Halbzeit auf dem dritten Rang, fiel am Sonntag im vierten zurück, landete aber am Ende nach einem starken letzten Rennlauf auf dem Silberrang. Die Emotionen, die ihn im Zielraum übermannten, waren ähnlich groß wie jene von Francesco Friedrich, der vor heimischem Publikum seinen sechsten WM-Titel in Serie feierte. Dass Lochner seinem Mannschaftskameraden die große Bühne überlassen musste, war ihm volkommen egal. Denn er selbst war nach dieser Saison, in der er eigentlich schon aus dem deutschen Zweier-Aufgebot gestrichen worden war, überwältigt von seiner ersten Einzelmedaille seit 2017. „Ich wollte es mir selbst beweisen, das war wichtig für mein Ego“, sagt er.

Lochner und sein Ego, das ist eine eigene Geschichte. Denn jeder Bobfahrer führt ein kleines Unternehmen, das eigene Interessen vertritt. Nicht immer passen diese mit jenen des Verbandes zusammen, und so hatte Lochner vor ein paar Wochen nahezu kapituliert. Auf dem Weg zur WM machte er sein eigenes Ding, ohnehin, sagt er, könne man als erfahrener Pilot „95 Prozent seiner Fehler selber identifizieren und abstellen“. Berührungspunkte gibt es daher lediglich mit Bundestrainer Rene Spies, zu dem das Verhältnis in diesen WM-Tagen intakt ist. Und auch die „Wut im Bauch“, mit der Lochner vergangenes Wochenende in den anspruchsvollen Eiskanal ging, ist inzwischen so gut wie verpufft. Im Vierer will er mit Können und Konstanz überzeugen – er wagt die Prognose: „Wer sich in vier Läufen keinen Fehler erlaubt, wird gewinnen.“

Es gibt auf der Welt kaum eine Bahn, die Unachtsamkeiten so hart bestraft wie jene im Erzgebirge. In nur einem Lauf kann man schnell bis zu einer Sekunde verlieren, wenn man an entscheidenden Stellen patzt, das ist im Bob mehr als eine Welt. Fünf Piloten traut Lochner zu, um die drei Medaillen fahren zu können. Eine Überraschung wie bei den Frauen, wo Junioren-Weltmeisterin Kim Kalicki zu Silber raste, schließt er in der Königsdisziplin aus. „Ein No Name wird es nicht machen“, sagt er. Sondern entweder einer der drei Deutschen – neben ihm und Friedrich geht Nico Walther an den Start –, der Kanadier Justin Kripps oder Oskars Kibermanis aus Lettland.

Favorit ist wie immer Friedrich, der bei den vergangenen drei Großereignissen – WM 2017, Olympia 2018 und WM 2019 – in beiden Schlitten ungeschlagen geblieben ist. Aber Lochner sagt: „Wir sind im Vierer nicht so weit weg vom Franz. Gold ist drin!“ Dass er seinem Freund und Kollegen den WM-Titel-Hattrick versauen könnte, macht ihm nichts. Im Gegenteil: „Damit könnte ich gut leben.“ Nach einer ruhigen Nacht ist alles möglich.

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