„Wechseln wir doch die Leibchen“

von Redaktion

FCA-Trainer Martin Schmidt ist Spezialist für Überraschungen gegen Bayern

Augsburg – Erst vier Zähler hat der FC Augsburg aus den sieben Spielen der Rückrunde geholt. Und der nächste Programmpunkt ist ein schwerer: Am Sonntag (15.30 Uhr) treten die Schwaben beim FC Bayern an. Was sie hoffen lässt: Ihr Trainer Martin Schmidt ist Bayern-Spezialist. Wir sprachen mit dem 52-jährigen Schweizer.

Martin Schmidt, Sie haben in Augsburg eine Wohnung mitten in der Stadt bezogen, nehmen bewusst am öffentlichen Leben teil. Was erlebt der Trainer des FCA denn so, wenn er im Café sitzt?

Ich mag es, Kontakt zur Stadt und Region aufzubauen, den Puls zu fühlen und zu erfahren, wie die Leute denken. Läuft es positiv, ist die Resonanz freundlich, motivierend, lobend. Wenn man eine Phase hat wie zu Saisonbeginn und jetzt gerade, versuchen die Leute allerdings auch, einen aufzubauen – sei es die freundliche Hausfrau oder der nette Senior von nebenan. Am Dienstag, als icheinkaufen war, sagte jemand zu mir: ,Das war ein gutes Spiel gegen Mönchengladbach (2:3 wurde es verloren, d. Red.), bald packen wir’s.’ Manche diskutieren auch über Spieldetails und Themen, die in der Zeitung stehen. Der Austausch mit den Menschen tut meiner Seele und meinem Geist gut.

Das nächste Spiel ist aber am Sonntag bei den Bayern. Was meint Volkes Stimme?

Dass es nichts zu verlieren gibt und man alles riskieren kann. Man macht mir Mut, es ist eine positive Resonanz.

Ein Faktor, der dem FC Augsburg Mut macht, ist Ihre persönliche Bilanz gegen den FC Bayern. Sie haben mit Mainz in der Allianz Arena 2:1 gewonnen, mit Wolfsburg bei Ihrem Debüt nach Zwei-Tore-Rückstand in München gepunktet. Und in der Hinrunde mit Augsburg zu Hause ein 2:2 erkämpft.

Seit Mai 2015 habe ich in München nicht mehr verloren. Ich konnte schon einige Male etwas holen gegen die Bayern und das mit drei verschiedenen Teams. Sicher ist das auch eine Frage des Spielglücks, doch ich versuche, diese Spiele mit Ruhe, Besonnenheit, Normalität anzugehen, vielleicht ist das ein Schlüssel.

Was darf nicht passieren? 3:0-Führung der Bayern nach einer Viertelstunde etwa?

Gegen die Bayern gehen die Spieler mit einem hohen Grad an Respekt ins Spiel. Bekommst du dann in der zweiten Minute das erste Gegentor, bist du konsterniert, die guten Vorsätze und der Matchplan sind gefühlt erst einmal im Eimer. Kriegst du in der achten Minute noch eines, denkst du: 0:2 aufholen, wie soll das gehen? Schafft man es aber, zwanzig, dreißig Minuten lang zu null zu bleiben, erhöht sich die Chance, an dem Tag etwas holen zu können. Mit jeder Aktion fällt der Respekt ab, du wirst ein bisschen größer, hast dich ans Ambiente gewöhnt, setzt dir als nächstes Zwischenziel, ohne Gegentor in die Pause zu gehen. Es geht darum, kleine Ziele erreichen, um am Schluss etwas in der Hand zu halten.

Es geht mehr über Mentalität als Taktik?

Ich sage oft: Wenn man die Leibchen wechseln würde, hätte man einen ganz anderen Ansatz. Ich will die Bayern nicht kleiner machen, aber es macht eben Eindruck, wenn man das rote Trikot mit den Meistersternen sieht.

Ist es hilfreich, dass Robert Lewandowski ausfällt?

Im Grunde ist es so, dass durch den Ausfall des Topscorers die Spitze der Lanze etwas stumpfer ist. Aber es gab auch ohne Lewandowski im ersten Spiel danach sechs Tore. Der kleine Hoffnungsschimmer ist erst einmal relativiert. Die Qualität, ihn zu ersetzen, ist bei Bayern sicher da.

Schalke hatte am Dienstag im Pokalspiel gegen die Bayern nur 19 Prozent Ballbesitz und wurde dafür kritisiert.

Schalkes Plan gegen die Bayern war klar: Man hat sie aus dem Spiel heraus zu null verteidigt, der Gegentreffer fiel aus einem Standard. Aber die Schalker hatten drei, vier Chancen, aus denen sie etwas hätten kreieren können.

Der FCA kommt auch nicht immer weit über 25 Prozent Ballbesitz hinaus. Wird der Ansatz des reinen Umschaltspiels, das Augsburg pflegt, den doch gar nicht so schlechten Möglichkeiten des Kaders gerecht?

Es ist unser Anspruch, das Spiel auch mit dem Ball zu verbessern, aber dafür sind die Bayern nicht der richtige Gegner. Man kann gegen sie natürlich hoch pressen, doch dann verteidigt man an der Mittellinie und läuft Gefahr, dass einer durchschlüpft. Wir wollen aktiv sein in München, wollen mit dem Spiel zu tun haben. Eigentlich müsste unser typisches Augsburg-Spiel gegen die Bayern in München ganz gut passen.

Gibt es einen Mindestprozentsatz Ballbesitz, um nicht erdrückt zu werden? Celtic Glasgow hat gegen den FC Barcelona vor einigen Jahren ein Spiel mit nur elf Prozent Ballbesitz gewonnen…

Das war dann ein krasser Ansatz. Grundsätzlich sollte man nicht unter 30 Prozent fallen. Die beiden Spiele gegen Bayern und das in Dortmund vielleicht ausgenommen. Ballbesitz ist auch keine Garantie, um Spiele zu gewinnen. Es kommt immer auf die Philosophie an. Manchester City braucht den Ball, um seinen besten Fußball zu spielen, Liverpool braucht diesen weniger, um erfolgreich zu sein. Klar ist: Wir müssen auch immer wieder Ballbesitz haben, Phasen, in denen wir den Gegner vom Tor weghalten.

Wie moderiert man diesen großen Kader, den der FCA hat? Der Spielberichtsbogen, auf den 20 Namen passen, wird bei jeder Partie voll.

Wir haben den Kader so gebaut aus den Erfahrungen der letzten Jahre, deswegen haben wir jetzt 25 Feldspieler plus drei Torhüter. Das ist in der Liga aber normal. Manchmal baut man auch jemanden auf, damit er in sein zweites Jahr dann als gestandener Bundesligaspieler geht – wie wir Noah Sarenren Bazee, der eine fast zweijährige Verletzungsgeschichte hatte. Man will auch Konkurrenzsituationen im Kader schaffen. Wenn dann alle fit auf dem Trainingsplatz sind wie jetzt bei uns, erfordert das natürlich eine spezielle Moderation.

Kriegt man es hin, dass keiner sich zurückgesetzt fühlt?

Man muss die Feldspieler, die bisher wenig Einsatzzeiten hatten und unzufrieden sind, intensiver betreuen und eher mal das Gespräch suchen als mit dem, der zwei Tore geschossen hat im letzten Spiel. Die Moderation beinhaltet Offenheit und Ehrlichkeit. Manchmal braucht es Härte, manchmal Weitsicht, manchmal schmerzt es. Der Trainer hat immer mehr Spieler, als er einsetzen kann, er hat immer einen Kern von Spielern, die er öfter einsetzt. Zu hundert Prozent gerecht wird ein Trainer nie sein.

Was ist die sportliche Vision für den FC Augsburg für die kommenden eineinhalb Jahre, die Ihr Vertrag noch läuft?

Eines ist klar: Wir sind ein Aus- und Weiterbildungsverein. Unser Fußball muss so attraktiv sein wie in den meisten Heimspielen. 18 unserer 27 Punkte haben wir in Heimspielen geholt, das ist eine gute Quote. Das Spiel mit dem Ball müssen wir kultivieren, um variabler zu werden und mehr als eine Umschaltmannschaft zu sein. Dann können wir Spieler behalten, die woanders gefragt sind oder Spieler zur Leihe bekommen von Topvereinen wie diese Saison Tin Jedvaj aus Leverkusen und Felix Uduokhai aus Wolfsburg

Das Interview führte Günter Klein

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