„Es war eine Wahnsinnssaison“

von Redaktion

Abfahrts-Ass Thomas Dreßen über einen Winter, der trotz Verletzungen sein bisher bester war

München – Normalerweise würde Thomas Dreßen (26) gerade beim alpinen Weltcup-Finale in Cortina d’Ampezzo seine letzten Ski-Rennen des Winters bestreiten, aber die Veranstaltung war wegen des Corona-Virus bereits vor knapp zwei Wochen abgesagt worden. Nun kümmert er sich daheim in Scharnstein um seine Schultern, die er sich bei einem Sturz in Hinterstoder auskugelt hat und lässt noch einmal die abgelaufene Saison mit seinen drei Siegen und dem 2. Platz im Abfahrts-Weltcup Revue passieren.

Wie verbringen Sie im Moment den Tag?

Ich habe mit meinen lädierten Schultern ein Programm, damit das dann muskulär wieder alles passt. Aber es fühlt sich schon wieder ganz gut an.

Und sonst?

Die Wohnung ein bisschen aufräumen, meine Skisachen zusammenpacken und im Keller verstauen. Ansonsten habe ich mir noch keine großen Gedanken gemacht, was ich die nächsten Tage mache. Eigentlich wollte ich ein bisschen Sport im Fernsehen anschauen, aber das hat sich ja jetzt auch erledigt. Allerdings muss ich sagen, die Maßnahmen, die ergriffen wurden, sind schon die richtigen.

Wie wäre es für Sie nach dem Weltcup-Finale weitergegangen – ohne die Maßnahmen wegen des Corona-Virus?

Ich hatte schon mit meinem Trainer Andy Evers besprochen, dass ich die Saison nach dem Finale beende, damit ich die ganzen Wehwehchen auskuriere, schaue, dass Knie, Hüfte und Schulter wieder in Ordnung kommen.

Was ist mit der Hüfte?

Da habe ich eine leichte Fehlstellung. Das ist eigentlich nicht so tragisch, aber während der Saison spüre ich die Hüfte eben aufgrund der größeren Belastung. Über den Sommer kuriert sie aber immer gut aus.

Die Saison endete ziemlich abrupt in Kvitfjell – mit einer nicht sehr stimmungsvollen Siegerehrung…

Das war schon komisch, denn normalerweise gibt es beim Finale eine Extra-Siegerehrung, bei der man die Weltcupkugeln überreicht. In Kvitfjell hatten sie die Kugeln nicht da, das war schon komisch, dass man es nicht geschafft hat, die vorsichtshalber mitzunehmen. Für die Zweiten und Dritten gibt es eigentlich eine Medaille. Die, die ich vor zwei Jahren für den dritten Platz bekommen habe, liegt zwar auch bei mir in der Schublade, aber man freut sich, dass man eine Würdigung bekommt. Die werden wir dieses Mal mit der Post zugeschickt bekommen. Dann mache ich die Siegerehrung mit dem Postler daheim, er darf mir die Medaille umhängen. Aber im Moment gibt es auch Wichtigeres als Siegerehrungen.

Mit ein paar Tagen Abstand: Wie ordnen Sie diese Saison ein?

Ich bin in der vergangenen Woche tatsächlich Rennen für Rennen durchgegangen, zwar eher analytisch, also was gut und nicht so gut war. Es war schon eine Wahnsinnssaison. In Kvitfjell habe ich mich mit Andy Evers an den letzten Sommer erinnert, als wir uns beim Kondi-Kurs auf Zypern über die Saisonziele unterhalten hatten. Damals ging es darum, das Knie in den Griff zu bekommen und dass ich in der Weltranglistenposition nicht allzu weit zurückfalle. Die Vorbereitung war für mich extrem zäh, da war ich nicht wirklich schnell. Das war aber vielleicht auch ganz gut, weil ich so ohne große Erwartungen zum ersten Rennen nach Lake Louise fuhr. Mein Ziel dort war es, ein paar Weltcuppunkte zu holen.

Dann haben Sie gewonnen. Welche Rolle spielte der Sieg beim Comeback-Rennen für den weiteren Verlauf der Saison?

Er hat mir extrem viel Selbstvertrauen gegeben und damit auch Lockerheit. Ich habe gewusst: Du bist skifahrerisch fast wieder top. Körperlich wusste ich schon vorher, dass es passt. Beaver Creek eine Woche nach meinem Sieg war für mich ein Wachrüttler, denn ich habe gesehen, dass technisch schon noch etwas fehlt. Da ist mir die Selbstverständlichkeit abgegangen, was aber nicht verwunderlich war.

Im Super-G schafften Sie es mit zwei dritten Plätzen ebenfalls einen Sprung nach vorne – betonten dennoch, dass Sie sich in dieser Disziplin noch nicht so sicher fühlten. Ist das Klagen auf hohem Niveau?

In der Vorbereitung habe ich aufgrund meines Knies nicht Riesenslalom trainiert, weil dabei mehr als bei Abfahrt und Super-G Meniskus und Knorpel belastet werden. Deshalb ist es auf den Super-G-Strecken, die technisch nicht so anspruchsvoll sind wie Gröden oder Saalbach, super gelaufen. Aber die anderen, die, bei denen die Technik gefragt war, um richtig Gas geben zu können, waren für mich noch eine Nummer zu groß. Das Ziel für die nächste Saison ist deshalb, dass ich wieder mehr Riesenslalom trainiere, damit ich technisch sicherer werde.

Was fehlt Ihnen noch zu Beat Feuz, der mit 212 Punkten Vorsprung den Abfahrts-Weltcup gewann?

Man muss schon sagen, wenn sich Dominik Paris nicht verletzt hätte, dann wäre es für mich um den dritten Platz gegangen. Der Dome und der Beat sind schon in einer anderen Liga unterwegs. Die beiden fahren extrem konstant. Für Konstanz brauchst du eine gute Grundtechnik, die die beiden haben. Ich muss schauen, dass ich mich technisch weiter entwickle, denn dadurch machst du weniger Fehler, beziehungsweise, du reagierst in Grenzsituationen besser. Aber es ist ja schön, dass es noch Sachen gibt, an denen ich arbeiten kann.

Für viele Skirennläufer ist die größte Herausforderung nach schweren Verletzungen, sich wieder zu überwinden. Bei Ihnen hatte man nie den Eindruck, dass Sie sich nicht ans Limit wagen würden.

Für mich war der Trainingstag am Stilfser Joch vor dem Abflug nach Chile entscheidend. Da sind wir Gleitkurven gefahren, da wollte ich sehen, ob eine Barriere im Kopf ist, die man rausbringen muss. Aber es war genau das Gegenteil der Fall, ich habe gleich extrem viel Spaß gehabt. Bei mir ging es eher darum, dass mein Hirn die Geschwindigkeit verarbeitet. Bei der Abfahrt muss man mit dem Kopf voraus sein, sich also beim Fahren schon mit der nächsten Passage beschäftigen. Bei mir dachte der Kopf am Anfang noch zu langsam. Aber es war nur eine Frage der Zeit, und in Lake Louise habe ich gleich gemerkt, dass es wieder passt.

Was nehmen Sie sich für den nächsten Winter vor?

Ich freue mich jetzt erst einmal aufs Konditionstraining. Natürlich ist das manchmal eine zähe Partie, aber du bist im Winter nicht erfolgreich, wenn du dir nicht im Sommer den Hintern aufreißt. Ich muss schauen, dass ich mich weiterentwickle, das machen die anderen auch. Dann hoffe ich natürlich, dass wieder so gute Ergebnisse herauskommen wie in diesem Jahr.

Interview: Elisabeth Schlammerl

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