München – Langsam gewöhnt man sich an eine Welt unter der Corona-Glocke. Das gilt auch für das runde Leder. Die Ligen wurden flächendeckend gestoppt, die EM verschoben – und der lange als unantastbar geltende Profi-Fußball muss sich der Realität stellen: Er wird nach der Pandemie nicht mehr derselbe sein.
Noch immer drohen über 700 Millionen Euro durch den Ausnahmezustand für die ersten beiden deutschen Profiligen wegzubrechen. Die Funktionäre versuchen verzweifelt, die Folgen für die Clubs wenigstens abzufedern. Geisterspiele sind längst kein Horror-Szenario mehr, vielmehr einer der letzten Strohhalme, an den sich die Branche klammert.
Das bestätigte Rainer Koch, Vizepräsident des Deutschen Fußballbundes: „Diese Geister muss man rufen, ansonsten setzt man die Existenzfähigkeit des gesamten Profifußballs aufs Spiel. Da hängen zigtausende Arbeitsplätze dran. Niemand will Spiele ohne Fußballfans, aber noch weniger wollen wir gar keinen Fußball“, sagte Koch am Sonntag im Fußballtalk „Doppelpass“ von Sport1: „Die Verantwortlichen der Deutschen Fußball Liga, allen voran Christian Seifert, sind aufgerufen, Szenarien zu entwickeln.“ Offiziell setzt die Bundesliga vorerst bis Anfang April aus. Eine Verlängerung der Zwangspause scheint allerdings alternativlos – für Spiele mit Zuschauern im Stadion sowieso.
Auch der Transfermarkt für die nächste Wechselperiode wird einer sein, den man so noch nicht erlebt hat. Doch das hat nicht nur negative Folgen. Die Spirale, die sich in der Vergangenheit hin zu immer höheren Ablösesummen drehte, was in den 222 Millionen Euro für Neymar gipfelte, wird durch Corona gestoppt – da sind sich die Experten einig.
So hofft Gladbachs Manager Max Eberl, dass sich der Markt in diesem Sommer „enthitzen“ könnte. Michael Rummenigge, Bruder von Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge, erwartet einen weitreichenden Transferstau. „So bald gibt keine Vollzugsmeldungen bei Transfers –schon gar nicht mit Ablösen in Höhe von 120 Millionen Euro oder mehr“, schreibt Rummenigge in seiner Kolumne beim „Sportbuzzer“.
Dies bedeutet allerdings nicht nur eine beruhigende Bremse für den bislang entfesselten Fußball-Markt. Einige deutschen Vereine müssen nun ihre Transferhoffnungen deutlich nach unten korrigieren – besonders Rudi Völler mit Bayer Leverkusen.
Bayer-Jungstar Kai Havertz wurde vor der Coronakrise auf mindestens 100 Millionen Euro taxiert. Eine mit der Virus-Brille betrachtet nicht mehr realistische Bewertung. Nutznießer der neuen Zeitrechnung könnte nun ausgerechnet der FC Bayern sein, der als potenzieller Havertz-Abnehmer gehandelt wird.
Gleiches gilt für dessen Nationalmannschaftskollegen Leroy Sané. der ebenfalls auf dem Zettel des deutschen Rekordmeisters steht. Hätte sich Sané nicht im letzten Sommer das Kreuzband gerissen, wäre er sehr wahrscheinlich für über 100 Millionen Euro von Manchester City nach München gewechselt. Nun scheint es denkbar, dass beide Offensiv-Talente für zusammen nicht einmal 100 Millionen Euro einen neuen Arbeitgeber finden. Zwei richtige Schnäppchen – setzt man die Maßstäbe an, welche vor wenigen Wochen auf der europäischen Bühne noch galten.
Aber das war eine Zeit, die mit der aktuellen Realität nichts mehr zu tun hat. Auch im Fußball.