Ja zu Geisterspielen

Lieber Entbehrung als Verzicht

von Redaktion

GÜNTER KLEIN

Das Zeitgefühl geht uns allen gerade verloren. Wie lange ist das jetzt her, dass wir uns abwandten von Spielen wie Mönchengladbach – Köln in der Bundesliga und Paris St. Germain – Dortmund in der Champions League. Nein, sagten wir vor zwei, drei Wochen noch, diese Darbietung von Fußball wollen wir nicht haben. Ein Match, in dem es um was geht, darf nicht daherkommen wie eine Übertragung von einem Sommervorbereitungsspiel eines deutschen Drittligisten gegen einen belgischen Zweitligisten in Belek – das irgendein Sportsender dankbar ins Programm aufnimmt, damit er nicht Autotuning-Magazine oder Call-in-Quizsendungen, wie aus dem Jahr 2000 herbeigebeamt, zeigen muss.

Heute, da wir die Wohnungen kaum verlassen und in den Straßen auf die zwei Meter Abstand zum entgegenkommenden Menschen achten, sehen wir auch den Fußball anders. Christian Seifert, der Boss der DFL, erscheint uns nicht mehr ausschließlich als der kalte Geldvermehrer, den wir tadelten, weil er seinen 26. Spieltag gewaltsam durchziehen wollte. Wir entdecken seine verantwortungsvolle Seite. Und verstehen die Realität: Der Fußball ist wirklich in Gefahr geraten. Absehbar ist: Das Niveau an Reichtum, das er genoss, wird er nicht halten können, er wird auf ein niedrigeres Luxuslevel wechseln müssen (wozu die Spieler offensichtlich auch bereit sind), aber in jedem Fall ist er darauf angewiesen, dass der Zufluss an Geld nicht versiegt. Die wichtigste Einnahmequelle sind nun mal die TV-Erlöse. Der Fußball kann sie nur bekommen, wenn er etwas bietet. Daher sind Geisterspiele besser als nichts.

Ob er sie tatsächlich ausrichten kann, liegt nicht in seiner Hand, sondern in der von Wissenschaft, Forschung, Politik. Doch wenn das Okay kommt, bleibt der Bundesliga nichts anderes übrig, als dieses minimierte Programm in die Welt zu senden. Und wer sich dem Spiel verbunden fühlt, wird diese Einschränkung hinnehmen.

Wir wissen nicht, wie es sich anfühlen wird, wenn über Wochen oder Monate vor leeren Sitzschalen gekickt und jeder Spielerruf vom Waschbeton zurückgeworfen wird – doch jede derzeit denkbare Alternative ist eine schlechtere. Es wird ein anderes Erleben von Fußball, wahrscheinlich werden wir uns daran gewöhnen. Und uns in der Phase der Entbehrung Mut machen: Die gute alte Zeit (2019 rechnen wir dazu) wird zurückkehren,

Guenter.Klein@ovb.net

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