München – Das runde Leder rollt nicht. Die Stadien sind leer. Und die Kasse einiger Clubs auch. Das Coronavirus lässt viele Vereine um ihre Existenz bangen. Wie ernst es um den Fußball bestellt ist, weiß Dr. Peter Rohlmann, 70. Der Marketingexperte hat die zu erwartenden Einbußen in Europas fünf großen Ligen ausgerechnet und erwartet bis zu vier Milliarden Euro Verlust, sollten die Saison nicht zu Ende gespielt werden. Wir sprachen mit ihm.
Herr Rohlmann, steht der Sport vor der größten wirtschaftlichen Herausforderung seiner Geschichte?
Bei dieser Krise wird unser gesamtes gesellschaftliches, wirtschaftliches und sportliches Leben massiv beeinflusst. Zum Teil sogar existenzgefährdend. Meiner Meinung nach sollte dies dazu führen, dass wir das, was wir als kommerziellen Sport bezeichnen, hinterfragen.
Selbst wenn die Saison zu Ende gespielt werden würde – lassen sich die Verluste bei den Clubs überhaupt auffangen?
Man muss unterscheiden: Welche Einnahmen fehlen tatsächlich und endgültig und welche würden von Anspruchsberechtigten zurückgefordert oder einbehalten. Sollte die Saison noch regulär zu Ende gespielt werden, würde der ein oder andere Einnahmeverlust wie geringere Zuschauerzahlen und damit weniger Eintritt kaum von Bedeutung sein. Im Falle von reinen Geisterspielen – also ganz ohne Publikum – gäbe es natürlich Verluste in Höhe sonst üblicher Spieltageseinnahmen. In der Bundesliga kommen wir hier auf zirka 1,6 Millionen Euro pro Heimspiel, in der 2. Bundesliga wären es rund 0,5 Millionen und in der 3. Liga etwas mehr als 0,1 Millionen. Dies kann dazu führen, dass ein Verein wie Mönchengladbach bei fünf Geisterspielen bis zu zehn Millionen weniger in der Kasse hätte. Selbst bei einem gut aufgestellten Erstligisten handelt es sich dabei um eine Summe, die nicht existenzgefährdend ist, die sich aber auch nicht so einfach ausgleichen lässt.
Befürchten Sie, dass Clubs das Virus wirtschaftlich nicht überleben?
Diese Sorge habe ich. Und das betrifft nicht allein besonders gefährdete halbprofessionelle Vereine und Amateurclubs. Man spricht ja bereits davon, dass jeder zweite Verein in der 3. Liga und den Regionalligen akut gefährdetet sei. Wirft man einen Blick auf Eigenkapital und Verschuldung im deutschen Profifußball, so zeigt sich, dass manch bekannter Club zum Überleben alle Register wird ziehen müssen.
Welche Auswirkungen wird das Virus noch auf den Fußball haben, den wir kennen?
Insgesamt werden wir alle hinterfragen müssen, was wirklich wichtig ist. Welche Werte Priorität haben müssen. Dass wir alleine, ohne Solidarität und Gemeinschaftssinn, nicht länger durchs Leben kommen. Deshalb wird Corona auch bewirken, dass die Fans einen strengeren Blick auf ihren Club werfen. Sie werden genau beobachten, ob und wie sich ihr Verein und ihre Idole „gesellschaftskonform“ verhalten. Das betrifft eigene Maßnahmen wie Gehaltsverzicht im Sinne des Clubs, als auch aktive Krisenbewältigung – sei es verstärkte Werbung für den eigenen Club oder Extraleistungen für Sponsoren trotz Spielausfällen. In diesem Zusammenhang gilt es auch die vorbildliche Aktion von Joshua Kimmich und Leon Goretzka #WeKickCorona hervorzuheben.
Ist der Knall jetzt so groß, weil die Fußballblase zu stark aufgeblasen wurde?
Da ist was dran. Die Profiwelt des Fußballs, gerade die 20, 30 umsatzstärksten Clubs, sind bislang jede Saison nach dem Motto verfahren: höher, weiter, schneller. Hier ist, besondern mit Blick auf das Transfergeschäft, Ticketpreise in England und den Umgang mit Fans in Deutschland, manches Maß verloren gegangen.
Ihre schlimmsten Befürchtungen? Oder Hoffnungen?
Fußball ist für mich nach wie vor die schönste Nebensache der Welt. Das scheint so mancher vergessen zu haben. Eben, weil es keine Limits gab und keine Rücksichtsvorkehrungen notwendig schienen. Nun hat das Virus allen die Gelbe Karte gezeigt. Ich hoffe wirklich sehr, dass daraus keine Rote Karte wird und der Fußball wieder zu einem Teil unseres täglichen Lebens wird. Dann sollte er jedoch eben das bleiben: eine Nebensache. Wenn auch die schönste der Welt.
Interview: José Carlos Menzel López