Einsamkeit zwischen 14 leeren Stühlen und alten Pinnwand-Seiten

von Redaktion

Seit Montag bin ich also zurück an jenem Ort, der mal eine lebhafte Groß(raum)redaktion war. Angenehme Kollegen, geschäftiges Gemurmel im Hintergrund. Dann jedoch kam die Corona-Krise übers Land – und nichts mehr war, wie es vorher war.

Quarantänebedingt blieben anfangs nur vereinzelt Arbeitsplätze leer. Dann – Mitte März – leerte sich die Sportredaktion wie ein Stadion nach Schlusspfiff. Wer konnte, zog sich ins Homeoffice zurück – bis auf ein bis zwei Blattmacher (wir berichteten), die tapfer die Stellung hielten, in gespenstischer Stille vor sich hinproduzierten – und schauerliche Einblicke gaben. „Halte die Einsamkeit nicht mehr aus“, schrieb Kollege S. an Tag vier in die WhatsApp-Gruppe. S. war es auch, der sich an die Sitte klammerte, die fertigen Seiten abends an die Pinnwand zu hängen – ohne Aussicht, dass jemand einen wohlwollenden oder prüfenden Blick darauf werfen würde. War das noch eine Übersprungshandlung oder schon ein Hilfeschrei? Gewiss ist es auch kein Zufall, dass Ressortleiter G. selten so entkräftet vor seinem Urlaub wirkte – und nun schon seit fünf Tagen versucht, sich in den oberbayerischen Hausbergen an Tageslicht, Frischluft und zufällige Begegnungen mit anderen Menschen zu gewöhnen.

So sehr dem Kollegen das vergönnt ist, so ehrfürchtig willigte ich ein, für zunächst zwei Tage den Part des einsamen Sportvertreters im Pressehaus zu übernehmen. Keine leichte Aufgabe, wie mir schnell klar wurde. Gewöhnungsbedürftig der Blick auf 14 leere Bürostühle neben und vor mir. Traurig auch der Moment, als ich die alten Seiten des Kollegen S. von der Pinnwand nehme – um wie er ebenfalls Seiten auszustellen, die unbeachtet bleiben werden. Nicht die einzige Verhaltensauffälligkeit, die ich bei mir selber feststellte. Klar, die Ruhe hat was, sie könnte der Konzentration dienlich sein. Aber: Schon mittags sehne ich mich nach dem von drei Kindern verursachten Lärmpegel im Homeoffice. Selten habe ich auch so gerne an den Konferenzen der Gesamtredaktion teilgenommen. Da sind tatsächlich noch andere Menschen, die sich im Verlagsgebäude versteckt haben! Ein beruhigendes Gefühl. Wie auch der Gang ins Freie in der Mittagspause. Am Pförtner vorbei, der für einen kurzen Plausch herhalten muss.

Abends dann der vorerst letzte Dämpfer in der verwaisten Redaktion. Hatten G. und S. nicht von einer improvisierten Sportbar erzählt, an der die letzten Mohikaner ihren Arbeitstag mit gebotenem Sitzabstand ausklingen lassen? Muss eine Fata Morgana gewesen sein. Oder doch nicht? „Die hat Montag und Dienstag Ruhetag“, brummt der ebenfalls einsame Kollege B. von der tz-Sportredaktion. Pech gehabt. Feierabendgeselligkeit findet also im Homeoffice statt. Heute ist dann mein freier Tag. Kollege S. übernimmt wieder – und wird sich bestimmt freuen, wenn ich ihm neben alten Seiten an der Pinnwand ein gut gekühltes Flaschenbier überlasse. ULI KELLNER

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