„Nachfrage nach Fußball ist immer da“

von Redaktion

Bei einigen Proficlubs wird von Insolvenz gesprochen – wie steht es um sie wirklich?

München – 13 von 36 deutschen Profifußballclubs sollen von der Insolvenz bedroht sein, falls nicht bald wieder gespielt werden kann. Doch was bedeutet das überhaupt: Insolvenz? Wie häufig ist sie im Fußball? Dr. Daniel Weimar, Sportökonom von der Universität Duisburg-Essen, hat sich mit Insolvenzen im europäischen Fußball in einer Studie befasst.

Herr Dr. Weimar, früher ging im Sport das Schreckgespenst des Konkurses um, heute spricht man von Insolvenz. Worin liegt der Unterschied?

1999 wurde die Konkurs- von der Insolvenzordnung abgelöst. Beim Konkurs ging es um reine Abwicklung eines Unternehmens, die Insolvenz beinhaltet die Option der Weiterführung des Betriebs bis zum fast vollständigen Schuldenschnitt.

Wer muss den Insolvenzantrag stellen? Im Fußball der Verein respektive seine Spielbetriebs-GmbH – oder die Gläubiger?

Sie kann von Gläubigern kommen, von Dritten wie Kranken- und Sozialkassen, das geschieht aber nur zu einem kleinen Prozentsatz. Für die Geschäftsführung eines Unternehmens gibt es klare Vorgaben: Bei Überschuldung und absehbarer Zahlungsunfähigkeit muss man binnen drei Wochen Insolvenzantrag stellen. Das Skurrile derzeit ist, dass Fußballunternehmen diskutieren, als gäbe es ein Wahlrecht, und sie wie der Karlsruher SC über die Insolvenz sogar abstimmen lassen wollen. Das Wort „könnte“ kommt in der Insolvenzordnung aber gar nicht vor.

Wie läuft ein Insolvenzverfahren ab?

Der erste Schritt ist der Antrag auf Eröffnung. Es wird entschieden, ob ausreichend Masse vorhanden ist, um etwa den Insolvenzverwalter zu bezahlen. Im Fall der Ablehnung erfolgt die Liquidation des Unternehmens. Ist Masse vorhanden, werden – außer im Falle einer Eigenverwaltung – die Gläubiger zusammengerufen; stimmen sie dem Insolvenzplan zu, kommt es zur Fortführung.

Stimmt es, dass bei einem Insolvenzverfahren die Agentur für Arbeit für drei Monate die Gehälter übernimmt?

Ja, das ist das sogenannte Insolvenzgeld. Wie beim Kurzarbeitsgeld gibt es eine Bemessungsgrenze und einen Maximalbetrag, in Westdeutschland 6350 Euro, in Ostdeutschland 5700. Das ist weniger, als man im Profibereich verdient.

Kann ein Spieler, dessen Verein in Insolvenz geht, sofort die Freigabe für einen anderen Club erreichen?

Insolvenzrechtlich hat jede Seite auf drei Monate ein Kündigungsrecht. Aber es gibt auch noch das Spielrecht. Ein Spieler könnte zwar woanders trainieren, aber nicht spielen, solange sein alter Verein den Betrieb aufrecht erhält.

Aktuell resultieren die Gedanken von Fußballclubs an die Möglichkeit einer Insolvenz ja aus der Corona-Krise.

Daher wurde die Drei-Wochen-Frist, binnen derer ein Insolvenzantrag gestellt werden müsste, auch bis 30. September ausgesetzt. Wenn ein Verein finanziell schlecht aufgestellt ist, muss das nicht zur Insolvenz führen. Doch die Frage ist eben, ob das alles auch coronabezogen ist.

Wie sieht es im deutschen Fußball aus?

Grundsätzlich ist die Insolvenzwahrscheinlichkeit im Fußball höher als in der normalen Wirtschaft. 2018 waren es 2,7 Prozent im Vergleich zu 0,57 Prozent. Zahlungsunfähig sind die wenigsten Vereine. Doch wir haben eine Dunkelziffer bis zu 50 Prozent von Clubs mit negativem Eigenkapital und struktureller Überschuldung. Sie retten sich immer mit einer positiven Fortführungsprognose. Sie argumentieren, dass Schulden abgebaut werden, weil eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Aufstiegs besteht und mehr Zuschauer kommen und mehr Würstchen im Stadion verkauft werden. Die Nachfrage nach Fußball ist ja immer da. Wenn die Stadien jetzt wieder geöffnet würden, wären sie voll.

Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da? Was zeigt Ihre Studie?

Wir haben bis heute 124 Insolvenzverfahren von der 1. bis zur 5. Liga erfasst, nur zwei fanden in den höchsten beiden Ligen statt, und das war noch in der Zeit vor Gründung der Deutschen Fußball-Liga (im Jahr 2000, d. Red.) – das unterscheidet uns deutlich von England und Frankreich. Es herrscht die Wahrnehmung vor, dass es dem deutschen Fußballsystem besser geht, aber im Bereich 3. bis 5. Liga haben wir ähnlich viele Insolvenzen wie die anderen. Die Vereine der DFL sind durch die Mediengelder stabilisiert, danach ist in Deutschland ein Cut, das Problem verschiebt sich nach unten und ist in der Regel durch Überinvestitionen verursacht.

Was wurde aus all den insolventen Vereinen?

32 der 124 wurden theoretisch liquidiert. Elf gibt es tatsächlich nicht mehr, bei 21 gründeten sich Nachfolgevereine. Was zur ursprünglichen GmbH gehörte, wurde auf eine neue Hülle übertragen. Es gibt Fälle wie den SV 09 Bübingen, der mit nahezu identischem Logo zum SV 19 Bübingen (Club im Saarland, d. Red.) wurde. In ähnlich perfider Weise übertrug die insolvente Alemannia Aachen GmbH im Juni 2018 die Spielrechte für 24 Stunden auf den TSV Alemannia Aachen e.V., um diese anschließend an die neue TSV Alemannia Aachen GmbH weiterzugeben. Der einzige Landesverband in Deutschland, der den Transfer von Spielern auf den Nachfolgeverein verbietet, ist Niedersachsen. Das Startrecht ist ein Spezifikum des Fußballs. Die Realwirtschaft hat das nicht.

Im Fußball kommen Insolvenzen dennoch oft zu einem ordentlichen Abschluss.

Außerhalb des Sports beträgt der Anteil der Insolvenzplanverfahren zwei Prozent, die Quote bei Fußballclubs liegt siebzehn Mal höher. Die Gläubiger sind im Fußball oft Unternehmen aus der Region. Da möchte man nicht dasjenige sein, welches dem Verein den Todesstoß gibt. Lieber nimmt man einen kleinen Return, als dass man komplett verzichtet. Gerade einige „Kult-Clubs“, die auf eine lange Tradition und treue Fans bauen können, haben in den letzten 25 Jahren bereits mehrfach Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eingereicht und sind immer noch in den höchsten fünf Ligen aktiv.

Gibt es aber auch, dass Gläubiger komplett verzichten?

Bei den Sportfreunden Siegen gab es den Fall eines Nullquotenverfahrens, da verzichteten die Gläubiger auf ihr Geld. Das sollte man nie außer acht lassen: Auch wenn von den Leiden der Vereine gesprochen wird – den Nachteil haben immer die Gläubiger zu tragen.

Interview: Günter Klein

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