München – Ein Kellerraum in der Südtiroler Stuben am Platzl in München vor sechs Wochen. Das Promoterpaar Alexander Petkovic und Nadine Rasche hat zur Zukunft des deutschen Boxens geladen. „Ich will den Kuchen groß machen“, sagt der ehemaliger Profi Petkovic passend zu den Räumlichkeiten, die Geschäftsspezl Alfons Schuhbeck zur Verfügung gestellt hat. Die Boxställe sollen nicht alle ihr eigenes Süppchen kochen, nur zusammen könne man die darbende Sportart wiederbeleben. Um seine Vision zu untermauern, sitzen neben ihm sein neuer Partner Pit Gleim und sein neuer Berater Axel Schulz. Der Erstgenannte hat einen Boxstall in Lichtenstein, und Schulz, den kennt jeder, der ist eines der letzten prominenten deutschen Gesichter dieses Sports.
Die Pressekonferenz war so etwas wie der Auftakt in die Vorbereitung auf einen neuen Kampf. Mittlerweile hat Corona zum Sparring geladen und seinen Gegner mit einem Leberhaken aus dem Nichts auf die Bretter geschickt. Ohne Veranstaltungen droht der große Kollaps. „Wir haben einen Pharmakonzern, der uns unterstützt. Ohne dessen Hilfe hätten wir im Mai die Kelle hochheben müssen“, sagt Nadine Rasche.
Die gebürtige Magdeburgerin arbeitete viele Jahre im Management von Ulf Steinforts SES-Boxstall, seit 2015 macht sie zusammen mit ihrem Freund Alexander Petkovic ihr eigenes Ding. Die Namen ihrer Athleten ändern sich fortlaufend, von ihnen groß angekündigte Karriereträume sind so schnell zerplatzt wie ein Käsekuchen zusammenfallen kann.
Klappern gehört eben zum Geschäft. Aber eines kann man den beiden sicher nicht vorwerfen: fehlende Innovation und Motivation. Gegen das Virus sind aber auch sie machtlos, vom erhofften Kuchen sind nicht mal mehr Krümel übrig. „Katastrophal“ und „brenzlig“ sei die Situation, so Rasche. 100 000 Euro stecken in vorfinanzierten Events, das Geld ist auf unbestimmte Zeit futsch. Dazu kommen monatliche Fixkosten von rund 15 000 Euro, eigene Gehälter noch ausgenommen. Die vom Staat versprochene Soforthilfe von 5000 Euro sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, mal davon abgesehen, dass das Geld seit knapp vier Wochen auf sich warten lässt. „Wir stecken den Kopf nicht in den Sand. Aber wenn das so weitergeht, sehe ich in zwei, drei Monaten schwarz“, sagt Rasche, der bereits drei von fünf Sponsoren, die monatlich zahlen, auf unbestimmte Zeit abgesprungen sind.
„Es wird mit Sicherheit die ein oder andere Insolvenz geben“, sagt Thomas Pütz, Präsident des Bunds deutscher Berufsboxer (BDB). Mit Duellen im Ring rechnet er frühestens wieder im Herbst, „vielleicht wird es aber auch in diesem Jahr gar nichts mehr, wenn es keinen Impfstoff gibt“. Das deutsche Boxen ist schwer angezählt.
Auch international liegt alles auf Eis. Dem BDB geht es wirtschaftlich gut, deswegen werden ausstehende Mitgliedsbeiträge oder Außenstände bei Promotern derzeit nicht eingefordert. „Das bringt ja nichts“, sagt Pütz, „wir versuchen alle über die Zeit zu kommen“. Dass schnellstmöglich wieder geboxt werden muss, darüber herrscht Einigkeit.
Bei möglichen Geisterkämpfen gehen die Meinungen auseinander. „Ich halte davon nichts, da gehen die Emotionen verloren, das Publikum fehlt, das kann ich mir schwer vorstellen“, sagt Pütz, wohlwissend, dass dem Verband bereits einige Anfragen in diese Richtung vorliegen. „Wir müssen Geisterkämpfe machen, das ist im Moment die einzige Alternative“, sagt Axel Schulz, „Aber du brauchst einen TV-Sender, sonst macht das keinen Sinn.“
Sonst sei es für die Veranstalter ein „komplettes Draufzahlgeschäft“, sagt auch Nadine Rasche, die die Kosten für einen Kampfabend im Durchschnitt mit etwa 250 000 Euro beziffert. Zudem muss aus medizinischer Sicht auch die Sicherheit von Ringrichtern, Ärzten und anderen direkt Beteiligten geklärt werden.
Dass Boxen von der Bildfläche verschwindet, damit rechnet Präsident Pütz nicht, „aber es wird ein ganz schöner Ruck durch die Reihen gehen“. Einzelne Athleten könnte es härter treffen. „Es ist schwierig für Boxer, die eine Halbwertszeit haben, ich denke dabei zum Beispiel an Jürgen Brähmer“, so Pütz. „Er will natürlich weitermachen, aber ihm rennt die Zeit weg“, sagt auch Schulz.
Der 41-Jährige Ex-Weltmeister Brähmer plant bereits eine Veranstaltung ohne Zuschauer im Livestream. Im Moment ist das noch verboten, danach müsste der Verband grünes Licht geben. Pütz verwehrt sich nicht, glaubt aber nicht, dass damit Geld generiert wird. „In Deutschland haben wir nicht die großen Money-Kämpfe. Pay-per-View-Einnahmen lohnen sich vielleicht bei Promotern wie Eddie Hearn oder Bob Arum.“
Die große Unbekannte in der Nach-Corona-Rechnung ist die Zeit. Niemand weiß, wann und wie es weitergeht. Auch deshalb wächst, wie überall in der Gesellschaft, der Zweifel, ob die Maßnahmen nicht zu streng sind. Pütz sieht die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben: „Da wird mit Spatzen auf Kanonen geschossen. Ich nehme Corona nicht auf die leichte Schulter, aber die Hysterie ist völlig übertrieben.“
Welche Ausmaße die Panik annimmt, musste auch Axel Schulz erfahren. Er wurde bei der Polizei denunziert, unrechtmäßig seinen Wohnort verlassen zu haben. Dabei war nur geschäftlich für sein selbstgebrautes Bier unterwegs.
„Wenn das so weitergeht, sehe ich in zwei, drei Monaten schwarz“