In Gedanken am Strand

von Redaktion

Simone Biles hat noch keine Zusage für Tokio 2021 gegeben: „Ein Jahr mehr ist sehr viel“

VON HANNA RAIF

München – Sommer, Sonnenbrille und ein kühler Drink. Ja, Simone Biles schien es in diesem Moment gut zu gehen, sie wollte ihn deshalb gerne teilen. Ein Selfie, ein schneller Klick, schon war die Aufnahme auf Instagram. Zehntausende Likes gab es schnell, genauso schnell aber hagelte es damals, es war im Juli 2017, Kritik. „Nur am Feiern“ sei dieses Mädchen, hieß es. Und Biles antwortete: „Sprich mit mir, wenn du 14 Jahre lang trainiert und fünf Olympiamedaillen gewonnen hast.“ Dem war nichts mehr hinzuzufügen.

Aus 14 Jahren sind heuer 17 geworden, und gewissermaßen ist dieses harmlose Strandfoto, das die bis dato wohl beste Turnerin der Geschichte aus ihrem an die Olympischen Spiele 2016 angehängten Sabatical postete, die Vorgeschichte zu all dem, was das amerikanische Olympia-Team derzeit umtreibt. Ein „Ja“ zu den Spielen, die in Tokio nun 2021 stattfinden, hat Biles, das Vorzeige-US-Girl, die Goldmedaillen-Garantin, noch nicht gegeben. „Nicht explizit dagegen“ habe sie sich entschieden, sagte die 23-Jährige der Zeitung „USA Today“ vergangene Woche, aber eben auch noch nicht explizit dafür. Denn „noch ein Jahr mehr“, fügte sie an, „das ist sehr viel“. Da wären wir wieder bei den 17 Jahren davor.

Turnen ist in Amerika so etwas wie ein Volkssport. Auch Biles hat als kleines Mädchen angefangen, aus Saltis auf dem Sofa wurden schnell welche auf dem Schwebebalken; ihr Ausnahme-Talent wurde früh erkannt. Als Tochter einer drogensüchtigen Mutter wuchs sie bei ihren Großeltern Ron und Nellie in Spring/Texas auf; wohlbehütet und gefördert. Oma und Opa sitzen stets stolz im Publikum, wenn ihre „Tochter“, so sagen sie, Gold holt. Der „Biles-Kuss“ ist legendär. 25 WM-Medaillen und vier Mal olympisches Gold haben sie schon miterlebt, in Tokio sollte die Krönung folgen. 2020, wohlgemerkt, also in gut drei Monaten. Das sah der Plan vor, den Biles sich nach den Spielen in Rio gemacht hatte. Und dessen Scheitern die Strahlefrau nun ziemlich aus der Bahn wirft.

Es ist im Turnen nicht unüblich, sich eine Auszeit zu nehmen. Dieser Sport ist extrem, auch Biles merkt ihre Gelenke, Sehnen und Bänder. Vor allem aber ist er geprägt von absoluter Disziplin. Wer in diesem – und noch dazu im hart umkämpften US-Team – etwas werden will, sieht die Turnhalle mehr als sein Zuhause. „Schinden“, sagt man gerne. Biles’ Olympiazyklus lief nach dem Jahr Pause perfekt. 365 Tage Aufbautraining, dann ging es an die Elemente. Bei der Turn-WM im Herbst in Stuttgart zeigte sie unter anderem den „Triple-Double“ am Boden. Sogar die männlichen Kollegen trauten ihren Augen nicht. Ihre Sammlung wuchs nebenbei auf 25 WM-Medaillen an. Besser geht es nicht.

„Ich war voll motiviert“, sagte Biles nun, fügte aber hinzu: „Und zwar noch für drei Monate, danach wäre ich fertig gewesen.“ Fertig mit dem Turnen, fertig mit Olympia. Nun wird von ihr verlangt, sowohl Körper als auch Kopf noch ein Jahr länger frisch zu halten. Home-Office hilft da wenig, „und eine zu große Lücke“, sagt Alfons Hölzl unserer Zeitung, dürfe nicht entstehen. Der Präsident des Deutsche Turner-Bundes blickt vor allem auf die deutschen Athleten und betont: „Sonst ist das Aufbautraining so zeitintensiv, dass es verheerend wäre, gerade in den technisch so komplexen und kraftintensiven Sportarten.“ Den Teufel wolle er „nicht an die Wand malen“, aber: „Kein Turner wird aus der Olympia-Verschiebung Gewinn rausschlagen.“

Bei Biles geht es vor allem um die mentale Komponente. Sie leidet unter der Isolation, sagt sie, „ich habe noch nie nichts gemacht in meinem ganzen kompletten Leben“. Um ehrlich zu sein, hat diese junge Frau 17 Jahre lang funktioniert, ihren Sport revolutioniert, gelächelt und Millionen US-Amerikaner glücklich gemacht. So wie übrigens auch letzte Woche. Da nämlich postete sie ein Video, in dem sie ein besonderes Kunststück präsentierte. Sie entledigte sich im Handstand einer Jogginghose. Benötigte Zeit: 55 Sekunden.

Kritik daran gab es nicht. Die wird es erst dann geben, wenn Biles in diesem Sommer Urlaubsbilder postet. Allerdings glaubt daran niemand wirklich. Diese Karriere wird ein Happy End kriegen. Nach 18 Jahren.

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