Fußballer als Vorbilder

Jede Umarmung ist eine zu viel

von Redaktion

HANNA RAIF

Es gab Zeiten, in denen war diese Masche einfach unerträglich. Jeder Satz, ach was!, jedes Wort auf dem Rasen und den Tribünen der Fußballstadien wurde hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Die Angst vor Lippenlesern hatte in dieser Branche irgendwann überhand genommen, Anweisungen, Emotionen oder Ärger – das war egal. Keiner der Millionen TV-Zuschauer sollte erahnen können, was die Stars und Sternchen austauschen. Eine Unart? Ja. Bald aber womöglich: eine Tugend.

Auch wenn die Floskel „das neue Normal“ schon nach zwei Monaten Corona-Krise absolut abgedroschen ist: Der Fußball wird – sollte beschlossen werden, dass er ab Mitte Mai wieder rollen darf – neue Gepflogenheiten unserer Gesellschaft austesten und vorleben müssen. Das Sprechen in die Hand ist nur ein banales Beispiel dafür, dass jede Handlung, jede Geste, jede Aktion ab dem Wiederanpfiff der Bundesliga in einem anderen Licht gesehen werden wird. Die Debatte darüber, ob der Fußball eine Sonderrolle eingeräumt bekommt oder als letztes Lagerfeuer der Gesellschaft positive Energie freisetzen kann, ist hinreichend geführt und nicht abschließend zu klären. Ab sofort sollte es also darum gehen, über die Konsequenzen nachzudenken.

Die handelnden Personen – allen voran die Profis – müssen sich bewusst werden, dass sie mehr denn je unter einem Brennglas arbeiten. Es wird nicht mehr um den coolsten Torjubel gehen, sondern um den hygienisch einwandfreisten. Es wird nicht mehr als männlich gelten, auf den Rasen zu rotzen, sondern als gesundheitsgefährdend. Jede Umarmung für Mit- und Gegenspieler ist eine zu viel; jede falsch in die Hand genommene Trinkflasche ein Risiko. Das ist penibel und erfordert eine große Umstellung. Nur so aber kann es gelingen, dass die liebste Freizeitbeschäftigung der Deutschen nicht als Freifahrtsschein für zu frühen Übermut gesehen wird. Nach dem Motto: Was die dürfen, dürfen wir doch auch!

Der Plan, den die DFL heute diskutieren wird, ist bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Und dass Markus Söder über die Weitsicht und Fürsorgepflicht der Task Force – unter anderem sind Mannschaftsfotos verboten und Hotelaufenthalte streng reglementiert – nach eigenen Angaben „überrascht“ war, ist ein gutes Zeichen. Die obersten Entscheidungsträger scheinen ein Bewusstsein für die gestiegene Verantwortung entwickelt zu haben. Es muss nun auf den Rasen weitergegeben werden. Gerne hinter vorgehaltener Hand. Hauptsache, es kommt an!

Hanna.Raif@ovb.net

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