„Kritik spiegelt immer die eigene Tabellensituation wieder“

von Redaktion

BFV-Jugendleiter Florian Weißmann über die Probleme, die die Corona-Krise für den Fußball-Nachwuchs mit sich bringt

München – Als Verbands-Jugendleiter des Bayerischen Fußball-Verbands (BFV) soll der Markt Schwabener Florian Weißmann, 40, in den kommenden Tagen und Wochen beinahe die Quadratur des Kreises möglich machen und in unsicheren Zeiten einen konkreten Handlungsplan für den bayerischen Nachwuchsfußball und seine unterbrochene Saison 2019/20 präsentieren. Wir haben mit Weißmann gesprochen.

Herr Weißmann, warum brechen Sie die aktuelle Spielzeit im Jugendbereich nicht ab, machen einen Schlussstrich und fangen eine neue Saison an, wenn das wieder möglich ist?

Klar ist der Schrei danach, einfach mal schnell abzubrechen, gerade groß. Aber ich unterstelle einfach mal vielen Leuten, dass ihnen nicht bewusst ist, wie differenziert und damit schwierig die Lage im Jugendbereich ist. Ein einheitliches Szenario wie im Erwachsenenbereich wird schon wegen unterschiedlichen Spielformen und Wettbewerben nicht möglich sein. Wir arbeiten an einer praktikablen Lösung für alle Seiten und sind in vielen Dingen auch schon sehr weit, obwohl wir erst vier Wochen hinter uns haben. Wichtig: eine Entscheidung über die Situation bei den Erwachsenen muss erst noch der BFV-Vorstand treffen.

Die globale Virus-Pandemie hat bereits in vielen Ländern und auch hierzulande in etlichen Sportarten zum Saisonabbruch geführt …

… praktisch muss aber wahrscheinlich erst ein Gericht diese höhere Gewalt feststellen. Wir haben vier Juristen im Vorstand, die den Hinweis geben, dass man die juristische Grundlage (Satzung und Ordnungen des BFV/Anm. d. Red.), wonach jedem Verein ein komplettes Spieljahr zusteht, nicht einfach aushebeln kann. Wahrscheinlich nicht mal der Staat könnte das, weil er somit in die Verbandsautonomie eingreifen würde. Fraglich ist, ob Verband und Vereine damit zufrieden wären und nicht Klagen gegen die Entscheidung des Staates folgen würden.

Da ein Abbruchszenario in der Verbandsspielordnung bisher nicht definiert ist, könnte also nur ein außerordentlicher Verbandstag den faktischen Abbruch beschließen?

Ja. Nur würden die etwa 260 zu wählenden Delegierten unter Umständen nicht einmal das mehrheitliche Meinungsbild aller Vereine vertreten, sondern womöglich primär das der eigenen.

Das bedeutet, Sie holen sich – wie zuletzt bei den Erwachsenen – jetzt auch via virtuelle Abstimmung ein Meinungsbild für den Nachwuchsbereich ein?

Zunächst stelle ich den Vereinsvertretern seit Freitag die Grundlagen und Haken aller aktuell möglichen Szenarien vor. Insgesamt werden wir etwa 2000 Personen erreichen, deren Anfragen wir parallel per E-Mail beantworten. Eine einzelne Abstimmung für den gesamten Jugendbereich halte ich aufgrund der Vielfalt an Problemen, die mir in den Webinaren noch stärker bewusst wurde, eher nicht vorstellbar. Eine Abstimmung der gesamten Kreise oder der oberen Spielklassen kann ich mir deutlich besser vorstellen.

Welche Sorgen der Vereine wurden Ihnen in den Webinaren noch stärker bewusst?

Insbesondere auf der Kreisebene wissen viele Vereine mit überschaubarer Anzahl an Kindern nicht, welche Mannschaften sie überhaupt melden können, wenn es wieder losgeht. Unabhängig von unserer Entscheidung, dürften das insgesamt eher weniger sein. Das heißt für mich, dass wir bei unserer Lösung die maximale Flexibilität ausreizen müssen, was die Ligen und den Start angeht. Bei Spielerwechseln kann das dann auf viele Einzelfallprüfungen hinauslaufen.

Was sind Ihre nächsten konkreten Schritte?

Am Mittwoch werden wir in einer Videokonferenz mit dem Verbands-Jugendausschuss und den Bezirks-Jugendleitern das Stimmungsbild aus den Webinaren besprechen. Aufgrund der Rückmeldungen werden wir dann Vereinsvertreter für die einzelnen Arbeitsgruppen auswählen, die engagiert sind und sich bereits aktiv mit vielfältigen, auch kritischen Hinweisen angeboten haben. Da brauchen wir keine Ja-Sager.

Wann ist mit Ergebnissen aus diesen Arbeitsgruppen zu rechnen?

Konzeptionell sollten wir in zwei, drei Wochen soweit sein, um Lösungen präsentieren zu können. Perfekt wäre es, noch im Mai eine abschließende Lösung zu finden, bei der die Mehrheit auf Kreisebene, aber auch die Spieler und Vereine mit an Bord sind, die in einer bestimmten Liga spielen wollen und können. Anders als uns mitunter vorgeworfen wird, ist diese Entscheidung noch nicht getroffen! Es sind verschiedene Wege möglich.

Müssten diese Fragen gerade im Nachwuchsbereich, mit deutlich weniger kommerziellem Interesse, Leistungsdruck und Jahrgangsübergängen nicht einfacher zu lösen sein als bei den Erwachsenen?

Im Kleinfeld sind wir flexibel und können machen, was wir wollen. Von mir aus auch Turnierformen im Juni oder eine Vier-Wochen-Runde, wenn wir das Angebot bekommen. Das entscheiden aber der Staat und die einzelnen Kommunen – und dann kommt sowieso noch die emotionale Komponente der Eltern dazu, die ihr Kind ins Training, aber vielleicht nicht in Spiele gehen lassen.

Und im Großfeldbereich?

Werden wir eine A-Jugend nicht wie eine F-Jugend behandeln. Da haben wir erstens unterschiedliche Interessenlagen im Breiten- und Leistungssportbereich. Zweitens unterschiedliche Spielgruppen. Und drittens habe ich für den besten Fall ausgerechnet, dass wir sechs Spieltage vor den Sommerferien spielen und sicher erst nach den Sommerferien Mitte September weiterspielen. Was ist aber, wenn wir 2020 gar nicht mehr spielen und wir 20 Spieltage im Frühjahr 2021 unterbringen müssen?

Eine Anpassung der Saison an das Kalenderjahr …

… ist definitiv keine Option! Ich lasse mich gerne überzeugen, werde den Vereinen aber dadurch sicher nicht ihre Jugendturniere im Juli als wesentliche Einnahmequelle wegnehmen. Ebenso halte ich die Motivation von Eltern und Kindern für eine einzige Vorbereitung im Winter für fraglich, wie auch den Fall, dass man eine Saison/Relegation witterungsbedingt nicht rechtzeitig zu Ende bekommt.

Ist der Ehrgeiz im Nachwuchsfußball so groß, dass Sie tatsächlich bei Abbruch/Annullierung eine Klagewelle fürchten?

Bei jeder Kritik, die ich im Moment bekomme, sehe ich mir den kompletten Verein und seine Tabellenstände an und stelle fest, dass die Kritik fast immer die eigene Tabellensituation widerspiegelt. Natürlich wird gerade öffentlich der Ehrgeiz oft hinten angestellt und 60 bis 70 Prozent aller Mannschaften haben weder eine Chance nach oben oder nach unten und sind damit neutral.

Aber?

Ich kann doch einer Mannschaft wie beispielsweise der U17 des TSV 1860 München, die in der Bayernliga Stockerster ist, nicht einfach die Saison oder den Aufstieg wegknipsen. Ich bezweifle, dass ich da das Einverständnis bekomme, zumal in Teilen des Jugendbereichs nicht nur die Spieler, sondern auch die Ligazugehörigkeit für die Vereine zählt. Das Interesse nach Spielklassenzugehörigkeit ist definitiv da, man muss ja nur mal in die vielen Sportgerichtsverfahren wegen unberechtigt eingesetzter Spieler reinschauen. Unter der normalen Saison werden da ja schon intensiv Spielberichtsbögen der Gegner durchgeschaut.

Das Interview führte Julian Betzl

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