Besuch bei Werner Beinhart oder: Wie man sich aus einer weltweiten Pandemie ausklinkt

von Redaktion

Nach exakt 49 Tagen im Homeoffice ein Termin, der Abwechslung verheißt: Interview mit Werner Lorant im Hinblick auf das anstehende 1860-Jubiläum. Es geht nach Waging am See, wo sich der Kulttrainer auf einem Campingplatz zur Ruhe gesetzt hat. Bedeutet: Schöne oberbayerische Landschaft genießen auf der 120 km langen Hinfahrt. Und in Waging angekommen: Westfälische Krisenrobustheit erleben.

Schon die Begrüßung fällt „beinhart“ aus. Lorant, rote (!) Sneakers zur Ballonseide, streckt die Hand entgegen, die Corona-Etikette ignorierend: „Ich bin doch nicht aus Zucker!“ Er hält auch nicht viel von der Maskenpflicht, die an diesem Montag erstmals gilt („Pah!“). Und auch das ist möglich, wenn Lorant Besuch empfängt: Er hat einen Weg gefunden, im Freien eine Art Weißbier-Frühstück zu organisieren, sogar mit Zulassen der alkoholfreien Variante, Wahrung des Mindestabstandes – und ohne die Hygieneregeln zu verletzen.

Der Eindruck: Lorant geht es blendend. Ihn braun gebrannt in seinem Campingplatz-Idyll zu treffen, ist besser als jede Angsttherapie. Wer sonst schafft es, sich mal eben aus einer weltweiten Pandemie auszuklinken? „Ich bin doch ein Naturbursche“, brummt er: „Mir kann das nichts anhaben.“ Dass er als Rentner und Raucher eigentlich der Risikogruppe angehört – interessiert Lorant nicht!

Schon in den 90er-Jahren hatte er ein Leitmotiv, unter dem sogar ein Buch erschienen ist: „Wer Angst hat, verliert.“ Lorant ist der felsenfesten Überzeugung, noch mindestens 30 Jahre an diesem schönen Fleckchen Erde zu weilen und Hunde wie seinen spanischen Mischling Jackson am Seeufer spazieren zu führen. „Ich hab nun mal gut Gene“, sagt er und berichtet von seiner Mutter Gertrud, die Anfang November 100 Jahre alt geworden ist. „Der Bürgermeister war da, der Landrat, Gott und die Welt.“ Ihr Werner war natürlich auch da, er wollte ihr einen Krückstock einreden, hat sich aber einen Rüffel eingefangen. „,Spinnst du?’, hat sie gesagt. Ich kann doch gut ohne laufen!“ Mama Lorant war schon beleidigt, als sie vor zwei Jahren auf Drängen ihrer Familie das geliebte Klapprad aufgeben musste. Ein Quantum dieses westfälischen Trotzes scheint sie auch an das berühmteste ihrer neun Kinder vererbt zu haben.

Diese und andere Storys lassen jedes Reporterherz hüpfen. Angenehmer Nebeneffekt: Nach drei Stunden mit Lorant sieht die Welt plötzlich gar nicht mehr so bedrohlich aus. Es scheint tatsächlich nichts zu geben, das in der Lage wäre, den 71-jährigen Trainerguru zu verdrießen. Nicht der gespenstisch leere Campingplatz („Ist doch schön, auch mal Ruhe zu haben“), nicht die Maskenpflicht in den Supermärkten („Ich war noch nie selber einkaufen, das darfst du gar nicht erst anfangen“), nicht mal die Grenzen, die dicht sind. „Ich war doch überall“, sagt er.

Nachdem Jackson alles gemacht hat, geht Lorant zurück in seine Dachwohnung, ein Schläfchen machen. Auf den Besucher dagegen wartet eine Rückfahrt ins Homeoffice, aber das ist gar nicht schlimm, denn als Fazit bleibt hängen: Lorants neues Leben ist schon länger eine Art Homeoffice, und mit seiner Einstellung, für die Optimismus eine schamlose Untertreibung ist, wird das (Weißbier-)Glas gedanklich immer mindestens halbvoll sein. ULI KELLNER

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