München – Der 1. Mai markiert den traditionellen Trainingsbeginn der Biathleten. Für einen Routinier wie Simon Schempp, 31, ist das diesmal allerdings mehr als nur die Rückkehr in den Alltag des Leistungssports. Der Wahl-Ruhpoldinger, jahrelang Spitzenkraft im deutschen Team, hat zwei missratene Biathlon–Winter hinter sich, in denen er jeweils sogar die WM-Teilnahme verpasste. So gesehen geht es für Schempp, der bei Olympia und Weltmeisterschaften elf Medaillen errang, nun auch darum, um die Fortsetzung seiner insgesamt glorreichen Karriere zu kämpfen. Zusammen mit der Corona-Krise ergeben sich für Schempp beim Trainingsauftakt in Ruhpolding ganz besondere Vorzeichen.
Simon Schempp, die Standardfrage zum Trainingsstart lautet: „Kribbelt’s wieder?“ Diesmal dürfte die Gefühlslage aber eine andere sein.
Es kribbelt schon wieder. Andererseits ist natürlich eine Ungewissheit da. Wir wissen noch nicht einmal, wie die erste Trainingswoche genau ablaufen kann. Wir wissen noch nicht, ob wir in der Gruppe trainieren dürfen, wir wissen auch noch nicht, ob wir in die Ruhpoldinger Biathlon-Arena reindürfen. Das steht alles noch in den Sternen.
Was für alternative Trainingsmöglichkeiten gibt es?
Wir können natürlich alleine joggen, Fahrrad fahren, Bergtouren machen, auf Skirollern unterwegs sein. Alleine dürfen wir ja vor die Haustür. Insofern fühle ich mich nicht groß eingeschränkt. Wir werden jedenfalls keine großen Einbußen im Training haben, was Umfänge und Intensitäten betrifft. Es kann aber sein, dass wir mit dem Schießtraining erst verspätet starten können.
Sie haben ja zwei schwierige Winter hinter sich. Jahrelang waren Sie zusammen mit Arnd Peiffer der Frontmann des deutschen Biathlons, plötzlich lief fast nichts mehr. Kamen da Selbstzweifel auf?
Ich war einfach wahnsinnig unzufrieden, weil das nicht die Leistung war, die ich von mir erwartet hatte. Ich habe viel trainiert, viel investiert – und dann ging es überhaupt nicht mehr auf. Daran hatte ich am meisten zu knabbern. Aber von Zweifel würde ich nicht sprechen. Ich glaube vielmehr weiter fest daran, dass ich nach wie vor das Potenzial habe, wieder dorthin zu kommen, wo ich mal war. Das gibt mir auch die nötige Motivation.
Es gab also keinen Moment, an dem Sie sich gefragt haben: Ist es nicht besser aufzuhören?
In diesem Jahr kam schon ab und an der Gedanke: „Jetzt langt’s mir aber.“ Durch die ständige Unzufriedenheit war mir zwischendurch die Lust vergangen. Aber ich habe mich wieder gefangen und mir gesagt: „Auch wenn’s überhaupt nicht läuft, ist das eine Riesenherausforderung für mich. Ich muss mich da rausziehen. Und wenn ich das meistere, dann kann ich auch wieder stolz auf mich sein.“
Das Tief ist also komplett abgehakt?
Ganz verdrängen kann ich die letzten beiden Jahre nicht. Biathlon ist ja mein Leben – und wenn dann zwei solche Winter herauskommen, kann ich nicht einfach den Schalter umlegen und sagen: Das ist jetzt vorbei und erledigt. Natürlich schwirrt es schon noch im Hinterkopf rum. Ich brauche jetzt halt mal wieder eine Saison, in der vieles funktioniert. Dann kann ich die beiden schlechten Jahre endgültig hinter mir lassen.
Ihre Fans müssen sich also keine Sorgen machen, dass Sie Ihre Karriere beenden?
Genauso ist es. Ich mache sicher weiter.
Vor der letzten Saison hatten Sie im September noch alle drei deutschen Meistertitel auf Rollerski gewonnen. Sie waren ja erstmals seit vielen Jahren nicht für den A-Kader nominiert und mussten sich qualifizieren. In den Weltcup-Rennen dann waren Sie urplötzlich außer Form. Woran lag’s?
Der Trainingsaufbau hat überhaupt nicht gepasst. Im Sommer und Herbst war die Form noch da, und als die Saison dann losging, hatte ich wahnsinnig schwere Beine und die Ausdauer, die ich zuvor noch hatte, war verschwunden.
Was wollen Sie diesmal ändern?
Ich hatte ja schon einige gute Jahre. Damals habe ich mein Training protokolliert. Da finden sich natürlich schon einige Anhaltspunkte, die mir weiterhelfen. Das ist jetzt auch meine Herangehensweise: Dass ich mich an den alten Trainingsprotokollen orientiere und die Vorbereitung so wie früher durchziehen kann.
Halten Sie es denn für möglich, dass die Nachwirkungen der Corona-Krise auch die Ende November beginnende Weltcup-Saison beeinträchtigen könnten?
Natürlich. Momentan gibt es ja nur Mutmaßungen, wie lange der Lockdown dauern wird. Nur mal angenommen, die zweite Infektionswelle kommt im Herbst, dann würde der Wintersport zumindest am Anfang auch betroffen sein.
Nehmen solche unsicheren Aussichten nicht ein wenig den Schwung?
Wir haben jetzt sieben Monate Vorbereitung, das ist eine lange Zeit. Wie es dann zum Saisonstart aussehen wird, ist sehr vage, das lässt sich nicht prognostizieren. Die Frage „Warum machst du das alles, wenn die kommende Saison vielleicht gar nicht stattfinden wird?“ ist in meinem Kopf allerdings nicht präsent. Ich würde mich megamäßig ärgern, wenn ich jetzt irgendwie locker ließe – und dann läuft die Saison doch wie geplant.
Interview: Armin Gibis