Per Anhalter über die Weltmeere

von Redaktion

Sanni Müller gab ihr geregeltes Leben auf und reist als Segelboot-Tramperin um den Globus

VON NICO-MARIUS SCHMITZ

Manchmal reicht die Einladung eines Freundes aus, um das ganze Leben zu verändern. Im Falle von Sanni Müller ist es die Einladung zu einem Segeltrip um Lanzarote im März 2019. Müller wuchs in der Nähe von Berlin auf, das Meer spielte eigentlich nie eine große Rolle in ihrem Leben. Die Ostsee war – trotz der Nähe – stets die große Unbekannte. Die erste Berührung mit dem Segeln gab es dann während ihres Studiums der Wirtschaftskommunikation, als sie im Rahmen des Unisports an einem Kurs teilnahm: „Das Boot habe ich natürlich direkt gekentert“, sagt sie.

Doch beim Trip um Lanzarote spürte Müller sofort, dass sie eine neue Leidenschaft gefunden hat. Sie verliebte sich in den Atlantik und in das Gefühl, von Wind und Wellen über die hohe See getragen zu werden. „Ich wusste, dass ich in Zukunft noch mehr Zeit auf dem Meer verbringen möchte. Ich konnte einfach nicht mehr genug davon bekommen.“

Auf der einen Seite stand nun also ihr geregeltes Leben mit einem guten Job in der Kommunikation einer Softwarefirma, ein schönes Zimmer in einer netten WG und die enge Verbindung zu Freunden und Familie. Und auf der anderen Seite das große Verlangen nach einem Abenteuer. Das Gefühl von Freiheit, das Müller während des Segeltörns um Lanzarote für ein paar Tage verspürte, wollte sie unbedingt wieder erleben. Am liebsten sogar monatelang. Es war ein langes Ringen zwischen Arbeit im Büro und Abenteuer auf hoher See. Doch im Mai 2019 gab sie schließlich die Kündigung bei ihrem Chef ab und setzte somit den Startpunkt für einen neuen Lebensabschnitt.

Aus Sanni Müller, die im Büro sitzt, sollte also Sanni werden, die über die Weltmeere segelt. In den drei Monaten, die sie nach ihrer Kündigung noch arbeiten musste, fing sie an, ihre Reise grob zu planen. Über Facebook schaltete sie eine Anzeige und kam mit einer belgischen Familie in Kontakt, die Mitte August von Flensburg Richtung Spanien wollte. Das passte gut, denn auch Sanni zog es zunächst in Richtung der Iberischen Halbinsel. Am 10. August 2019, der Tag der Zugfahrt Richtung Flensburg und somit des Abschieds, brach es aus der 30-Jährigen heraus: „Ich habe stundenlang nur noch geweint.“ Es fiel ihr schwer, die Arbeitskollegen, die ihr ans Herz gewachsen waren, und das gewohnte Umfeld hinter sich zu lassen. Von der Familie und Freunden erfuhr Sanni jedoch Unterstützung. Der Vater hatte nur eine einzige Bedingung: Dass sie sich nicht von Haien fressen lasse.

Mit der belgischen Familie startete die Berlinerin schließlich am 14. August ihr großes Abenteuer von Flensburg aus. Schon bei der ersten Etappe merkte Sanni, dass bei einer solchen Expedition nicht alles nach Plan verläuft. Am 1. September erreichte die Yacht nämlich Cherbourg in Frankreich und nicht wie ursprünglich geplant Spanien: „Von da an wusste ich, dass ich nur noch in groben Richtungen denken kann. Ich wollte dann nicht mehr zu bestimmten Orten, sondern beispielsweise nach Süden.“

Um voranzukommen, nutzt Sanni das Prinzip „Hand gegen Koje“. Auf einer Plattform können Bootsbesitzer und Crewmitglieder miteinander in Verbindung treten. Bis auf die Verpflegung entstehen somit für die studierte Kommunikationswissenschaftlerin keine Kosten, da die Mitnahme durch eigene Arbeit – Kochen, Deck schrubben, Navigieren. . . – bezahlt wird. Auf diese Weise kam Sanni dann auch mit einem Iren in Kontakt, mit dem sie bis nach Lagos (Portugal) segelte und später auch den Atlantik überquerte.

Das Highlight ihrer bisherigen Reise folgte im Januar diesen Jahres. Von Barbados aus startete die Abenteurerin mit Bootseigner Wolfgang und Crewmitglied Miriam den Törn von Barbados nach Martinique. Sanni muss sich während ihrer Reise nicht nur ständig auf neue Yachten, sondern auch auf neue Reisegefährten einstellen. Und 18 Tage auf dem Atlantik sind zudem nicht immer angenehm: „Wenn dir jede Welle mit voller Wucht in den Nacken schlägt, fragt man sich schon manchmal: Warum mache ich das hier überhaupt?“. Doch es sind meist nur kurze Momente des Grübelns. Die schönen Momente überwiegen die Erschöpfung und den fehlenden Schlaf, wenn man nachts in der 3- Quadratmeter-Kabine – die zudem noch geteilt wird – nicht zur Ruhe gekommen ist: „Wenn sich in der Morgendämmerung das Wasser spiegelt, das Meer sämtliche Farben annimmt und Delfine an deinem Boot vorbeischwimmen, ist das an Magie kaum zu überbieten.“

Nach 18 anstrengenden Tagen erreichte Sanni schließlich die Insel Martinique und nach einem kurzen Aufenthalt den karibischen Inselstaat Dominica. Dort lebt und arbeitet sie nun seit einigen Wochen auf dem Boot eines portugiesischen Ehepaars. Durch die Coronavirus-Pandemie ist es derzeit schwierig genau zu planen, wann es weitergehen soll.

Die grobe Richtung steht aber: „Als nächstes soll das Boot, auf dem ich aktuell lebe, nach Panama und auch durch den Panamakanal. Das ist mein nächster großer Traum, den ich mir erfüllen werde“, sagt Sanni, während sie mit einer Papaya in der Hand am Hafen den Sonnenuntergang beobachtet. Und die Wellen, die sie schon bald wieder über die Weltmeere tragen werden.

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