München – Hinterher weiß man immer mehr, heißt es ja. Und wenn man heute in den Zeitungen von Anfang März blättert, fühlt man sich tatsächlich wie in eine andere Zeit versetzt. Am 8. März etwa, also am gestrigen Freitag vor zwei Monaten, hat der FC Bayern den FC Augsburg mit 2:0 besiegt – und man fragte sich: War das das vorerst letzte Bundesliga-Spiel des Tabellenführers vor Zuschauern? Drei Tage später dann die Schockmeldung für alle Fans: „Der FC Bayern trägt bis 19. April Geisterspiele aus.“ Der Rest der Geschichte ist bekannt. Bis heute wurde nicht mehr gespielt. Fortsetzung folgt am Sonntag, den 17. Mai um 18 Uhr bei Union Berlin.
Die Bayern begeben sich am Samstag in Quarantäne. Nach Wochen voller Unsicherheit, Sorgen und Kleingruppen-Einheiten wird der Fokus im Hotel „Infinity“ in Unterschleißheim langsam, aber sicher auf den Platz gelegt. Echtes Training gab es schon am Freitag, Mann gegen Mann, Zweikämpfe – all das muss im Schnelldurchlauf wieder sitzen. Sowieso aber, sagt Hansi Flick, geht es bei diesem komplizierten Kaltstart für alle Bundesligisten lediglich darum, „die Situation anzunehmen“. Die Prognose des Bayern-Trainers: „Was vorher war in dieser Saison, interessiert nicht. Jeder fängt bei null an.“
Tatsächlich macht diese Wiederaufnahme den Anschein eines echten Neustarts – was aber bleibt: die Punkte, die davor eingefahren wurden. Und so ist es nur logisch, dass die Bayern, die mit dem 2:0 gegen den FCA ihren Vorsprung an der Tabellenspitze auf vier Punkte ausgebaut hatten, als haushoher Favorit auf die achte Meisterschaft in Serie in den Endspurt gehen. Zur Erinnerung: In den Tagen vor der Corona-bedingten Unterbrechung war das Wort „Triple-Traum“ offiziell gefallen, „unmöglich ist das nicht“, sagte etwa Thomas Müller. Und es gab auch noch so ein paar andere Themen und Fragen, die den Rekordmeister begleiteten – und nun wieder aktueller werden dürften.
Unter anderem Robert Lewandowski stand im Fokus. Vier Wochen Pause hieß es am 26. Februar, die 40-Tore-Marke von Gerd Müller schien in weiter Ferne. Inzwischen ist der Torjäger nicht nur erneut Vater geworden, sondern erfreut sich auch wieder bester Gesundheit. 25 Treffer sind es bis jetzt, neun Spieltage bleiben. Lewandowski wird sie nutzen wollen. Der Name Joshua Zirkzee wird daher wohl erst mal weniger wichtig sein. Und auch Serge Gnabrys Rolle als Aushilfsstürmer war nur ein kurzes Intermezzo.
Verändert hat sich zudem die Rolle von Philippe Coutinho, der Nutznießer des Lewandowski-Ausfalls war. Der letzte Bundesliga-Spieltag ist Stand heute für Ende Juni terminiert, ein paar Tage nach der Partie in Wolfsburg (und der Meisterfeier?) wird für Coutinho wohl Schluss in München sein. Bis dahin geht es nicht mehr darum, für einen neuen Vertrag zu spielen, sondern darum, nach Knöchel-OP wieder fit zu werden. Der Brasilianer muss zusehen beim Konkurrenzkampf in der Offensive, in dem vor der Corona-Pause der erste Nationalspieler aufgemuckt hatte. „Eine Berechtigung, zu spielen“ hat Leon Goretzka nach eigener Aussage. Er kündigte nach zwei Bundesliga-Partien ohne Startelf-Einsatz an: „Das wird man besprechen müssen.“
Wer die Berechtigung hat, zu spielen, wird auch in der Abwehr interessant. Denn dort ging es vor der Unterbrechung vor allem darum, wann und wie Lucas Hernandez integriert werden kann. David Alaba ist als Abwehrboss nicht mehr wegzudenken gewesen, Jerome Boateng machte seine Sache neben ihm zuletzt sehr gut. Und weil auch Niklas Süle nun in der Reha zwei Monate Zeit gewonnen hat, könnte ein vierter Mann gegen Ende der Saison ins Team drängen.
Ein Gutes hatte die Sache ja: Flicks Stammspieler sind – Stand jetzt – verletzungsfrei. Allerdings, sagte der Coach, zähle bei Spielen ohne Zuschauer „vor allem die Mentalität“. Da sind sie wieder, die guten alten Fußballer-Sprüche. Auch mal schön.