München – Er ist die Stimme der Löwen: Stefan Schneider, 58, seit 27 Jahren am Stadion-Mikrofon, wenn Sechzig zum Heimspiel ruft. Im Interview zum 160. Vereinsgeburtstag spricht Schneider über die Höhepunkte seiner Fan- und Sprecherkarriere – und er berichtet, wie ihm die Erinnerung an große Nachmittage und Abende mit den Blauen durch die Krise hilft.
Herr Schneider, ist jemand zu Hauuuse …?
Oh mei, öfters als uns allen lieb ist. Ich wär’ so gern voller Vorfreude aufs Wochenende, auf ein volles Grünwalder Stadion. Aber das wird dauern. Und keiner kann dir sagen, wie lange.
Als Moderator von Live-Veranstaltungen sind Sie seit Anfang, Mitte März praktisch mit einem Berufsverbot belegt.
So schaut’s aus. Ich hab zwar noch meine kleine Werbeagentur, aber größtenteils arbeite ich dort, wo mehr als 3000 Leute versammelt sind. Fußball, Eishockey, Firmenveranstaltungen, Südtiroler Weinfest, Wiesn-Kehraus… Da geht heuer nix mehr – oder nicht mehr viel. Aber soll ich deshalb klagen und jammern? Ganz bestimmt nicht. Ich habe in den letzten Jahren sehr konservativ gewirtschaftet und muss als Lediger keine Familie ernähren, von daher passt’s schon.
Was hilft Ihnen durch die Krise?
Mein Optimismus, meine positive Einstellung zum Leben. Wenn ich merke, dass ich ins Grübeln komm’, dann sag ich mir immer: Meine Generation hat keinen Krieg erleben müssen. Da, wo wir wohnen dürfen, gibt’s keine Erdbeben und Tsunamis. Und auch diese Corona-Geschichte trifft andere Länder wesentlich härter als uns.
Welche Relevanz hat da der Zuschauer-Sport?
Er fehlt mir und den meisten Leuten, die ich kenne. Du brauchst was, woran dein Herz hängt, die Spannung, die Gaudi. Und es ist ein Wirtschaftszweig, der wie jeder andere schauen muss, dass er das Beste aus der Situation macht.
Haben Sie sich in den letzten Wochen ein paar TV-Konserven aufgemacht?
An der einen oder anderen Wiederholung bin ich ein paar Minuten hängen geblieben, ja, aber so richtig reingezogen hat mich eigentlich nur unser Relegations-Rückspiel gegen Saarbrücken im BR. Da ist mir die ganze Dramatik wieder so richtig bewusst geworden, dieser „Typisch Sechzig“-Blues nach dem 0:2, dann der Mölders-Elfer, der Ausgleich vom Seferings, die Ekstase nach dem Abpfiff und die Party am Doppeldecker-Bus. Diesen Tag wird Giesing nie vergessen.
Ihr Highlight als Stadionsprecher?
Eines von vielen. Ich unterscheide da nicht zwischen Fan und Sprecher. Insgesamt gehe ich schon seit über 50 Jahren zu Sechzig, da kommt einiges zusammen. Wie wir als Buben mit unseren Fahnen auf dem Trittbrett der 25er-Tram mitgefahren sind, dann mit 15 die ersten Auswärtsspiele mit den Spezln. Sechzig ist kein kleiner Teil meines Lebens . . .
Wenn Sie in eine Zeitmaschine steigen könnten, wo würde die Reise hingehen?
Das ist schwer. Wahrscheinlich würde ich Waldstadion Frankfurt 1977 eintippen, das Entscheidungsspiel um den Bundesliga-Aufstieg gegen Arminia Bielefeld. Da war ich damals mit 30 000 anderen Wahnsinnigen dabei, das war mein zweites Auswärtsspiel überhaupt nach dem 0:4 in Bielefeld.
Oder doch Meppen 1994?
Oder doch Meppen. Boah . . . Vielleicht wär’ eine kleine Zeitmaschine am besten, mit der man gar nicht so weit kommt. Sechs Wochen würden mir eigentlich schon langen. Direkt noch mal zum Chemnitz-Spiel, 0:2 kurz vor der Halbzeit. Und gleich kommt der Lex mit dem Anschlusstor . . . Wenn ich an die Nachspielzeit denke, an diese Jubel-Explosion beim 4:3 vom Prince, wie der Michi Köllner gehüpft ist vor Freude, da läuft’s mir immer noch eiskalt den Buckel runter.
Sie haben als Stadionsprecher viele, viele Trainer aus nächster Nähe erlebt. Gab’s einen, der Sie besonders beeindruckt hat?
Von der Lautstärke her sicher Werner Lorant (lacht). „Feuer, Männer! Feueeeer!“ Das hab ich immer noch im Ohr, wenn ich ihn irgendwo sehe auf Bildern oder in natura. Ansonsten . . . Als Kontrast lande ich schnell wieder beim Michi Köllner. Der hat so eine positive Art, das kannst du manchmal gar nicht glauben. Wenn da ein Fehlpass kommt, wo es mir innerlich die Zehennägel naufdreht, dann klatscht der erst recht: „Super, super, der Nächste kommt!“ Und es wirkt bei den Spielern, weil es nicht aufgesetzt ist.
Was trauen Sie der Mannschaft zu, sollte die Saison mit Geisterspielen fortgesetzt werden?
Die Serie von 14 ungeschlagenen Spielen hat uns mental sicher besser durch die Krise gebracht als andere. Von daher – und mit Köllners Motivationsgeschick: Ich traue der Mannschaft sehr viel zu.
Und Sie helfen als Geistersprecher mit?
Sozusagen . . . Ein paar Leute werden ja da sein, auch von eurer Zunft. Und im Fernsehen soll man ja auch was hören. Ich kann noch nicht zu viel verraten, aber wir werden versuchen, im Rahmen des Erlaubten so nah wie möglich an der Normalität zu landen. Damit niemand das Gefühl bekommt, bei einem Trainingsspiel zu sein. Am allerwenigsten die Mannschaft.
Interview: Ludwig Krammer