von Redaktion

München – Er ist so etwas wie eine lebende Handball-Legende. Gudjohn Valur Sigurdsson holte 17 Titel in fünf Ländern Handball-Europas, der Isländer ist der weltbeste Torjäger in einem Nationaltrikot. Nun allerdings wechselt er die Seiten und heuert nach dem vorzeitigen Saisonende bei Paris Saint-Germain als Trainer beim VfL Gummersbach an. Eine Entwicklung, über die er auch froh ist, wie er im Interview erklärt.

Herr Sigurdsson, wenn Sie im Herbst als Trainer beim VfL Gummersbach antreten, werden Sie beim Laufen immer noch Ihre Spieler abhängen. Das glaubt Jennifer Kettemann, die Chefin der Rhein-Neckar Löwen…

(lacht) Ach nein, ich werde mit den Spielern sicher keine Wettbewerbe machen. Ich werde dort Trainer, das reicht.

Aber fit genug werden Sie sein?

Na, das hoffe ich doch. Ich war jetzt noch fit genug für die Champions League, habe in diesem Jahr noch ein Großturnier gespielt. Warum sollte es nicht für die zweite deutsche Liga reichen? Und vom Sport komme ich eh nicht los, da bin ich zu sportverrückt. Jetzt gerade bin ich auf dem Fahrrad.

Und wenn es im Herbst juckt…

Ich habe die Entscheidung getroffen, und es ist gut so jetzt. Ich hätte vielleicht schon noch zwei, drei Jahre spielen können. Aber man muss auch sagen: Mein Vertrag in Paris ist ausgelaufen, und die Situation auf dem Transfermarkt ist doch sehr ungewiss jetzt. Als Trainer kannst du zumindest länger planen. Und dann habe ich auch noch einen Siebenjährigen zuhause. Für den ist es jetzt auch gut so. Der freut sich, solange er einen Ball am Fuß hat.

Er wird Fußballer?

Das weiß ich nicht. In Paris hat er im Nachwuchs von PSG gespielt.

Immerhin hat es noch zum 17. Titel ihrer Profikarriere gereicht. Es dürfe Ihr ungewöhnlichster gewesen sein. Paris St. Germain wurde nach dem Abbruch der Saison zum französischen Meister erklärt.

Klar, es war der erste, den ich von der Couch aus gewonnen habe. Die Mannschaft hat sich nicht getroffen, auch wenn diese Feiern natürlich nicht das Wichtigste sind. Aber es ist ein Titel, den wir verdient haben. Es hätten ja vielleicht noch drei Siege gefehlt, dann hätten wir ihn auch so geholt. Aber so oder so: Ich bin stolz darauf, dass ich dort spielen konnte.

Waren Sie froh, Paris verlassen zu dürfen?

Ja, ich war sehr froh. Jeden Tag kamen neue Nachrichten. Erst haben sie die Parks geschlossen, dann haben sie alles andere geschlossen. Dann durfte nur noch einer raus, zum Einkaufen. Es hieß, jetzt kommt die Armee. Ich bin sehr dankbar, dass der Verein den Spielern aus dem Norden erlaubt hat abzureisen.

Die Situation in Island ist angenehmer. Rund 1800 Corona-Fälle wurden registriert.

Das stimmt, leider sind auch einige Leute gestorben. Es gibt hier auch einige Maßnahmen. Aber sie sind lockerer. Bis zu 20 Menschen dürfen in Geschäfte, man darf raus in die Natur, wenn man den Abstand von zwei Metern einhält. Das tut den Leuten gut. Und mir tut es auch gut. Ich habe ja auch zwei Töchter mit 21 und 17 Jahren, die in Island leben. Die konnte ich sonst auch nicht so oft sehen.

Wird sich die Szene nach Corona verändern?

Schwer zu sagen, ich habe leider keine Glaskugel. Ich hoffe allerdings sehr, dass die kleinen Clubs ihre Sponsoren behalten. Vielleicht wird es regionaler, dass sich die Leute für den Verein in ihrer Nähe interessieren. Da wird es sicher bald Studien geben. Aber das kann ich nicht sagen, ich bin nur ein einfacher Handballer.

Hat die gesundheitliche Situation auch bei Ihren weiteren Plänen eine Rolle gespielt? In Deutschland hatte man das Virus bislang gut unter Kontrolle.

Dann müsste ich eigentlich in Island bleiben. Nein, ich müsste das nicht machen. Ich hätte einfach aufhören können, vielleicht etwas studieren. Natürlich schaust du auch darauf, dass in Deutschland alles so gut läuft. Und es spielt natürlich auch eine Rolle, dass wir so viel Zeit in Deutschland verbracht haben. Aber es gibt doch so viele Fragen, auf die man momentan keine Antwort hat. Kannst du überhaupt ins Ausland. Wann können wir nach Paris um unsere Sachen zu packen? Wann können wir nach Gummersbach?

Zu dem Verein, bei dem Sie in Ihrer langen Karriere den Durchbruch geschafft haben. Auch eine schöne Begebenheit?

Klar, ich habe mich über das Angebot sehr gefreut. Das Projekt, den Verein wieder nach oben zu bringen, ist sehr spannend. Und ich bin sehr dankbar für das Vertrauen. Ich denke, dass es für Christoph Schindler (Geschäftsführer, d.Red.) nicht einfach wahr, den Verein zu überzeugen, dass ein Spieler, der gerade aufgehört hat, der richtige für so einen Job ist. Und klar, natürlich habe ich schöne Erinnerungen. Aber die habe ich eigentlich an alle Vereine. Ob das in Essen war, in Kopenhagen, Kiel, Barcelona, bei den Rhein-Neckar Löwen oder in Paris. Wir haben uns überall sehr wohl gefühlt.

Sie hatten überall Erfolg.

Der FC Barcelona oder der THW Kiel sind unfassbar große Clubs, in denen auch unfassbar gut gearbeitet wird. Kein Zufall, dass die oben stehen und Titel gewinnen. Nicht nur wegen des Geldes. Aber ich hatte tatsächlich überall gute Zeiten. Bei den Rhein-Neckar Löwen war ich ja sogar zweimal. Wobei die zweiten drei Jahre deutlich besser waren. In den ersten drei Jahren habe ich zwar sicher mehr gelernt, weil du aus Problemen mehr lernst. Aber die zweiten haben mehr Spaß gemacht (lacht).

Was haben Sie denn gelernt?

Wie man mit schweren Situationen umgeht. Ich bin damals vier Wochen nach den Olympischen Spielen dorthin gekommen, hatte keine Vorbereitung. In einen Club, der schnell gewachsen ist und unbedingt um die Meisterschaft spielen wollte. Aber so schön es dort unten ist: wir haben die Leistung nicht gebracht, die von uns erwartet worden ist. Wie gesagt, beim zweiten Mal hat es mehr Spaß gemacht.

Gibt es einen Ort, zu dem Sie auf Ihrer Europareise eine besondere Beziehung entwickelt haben?

Island. Wir haben unsere Liebe zu Island wiederentdeckt.

Interview: Patrick Reichelt

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