Frankfurt – „Aufbruch mit Fragezeichen – Streit vor dem Re-Start“ titelte das Fachmagazin „Kicker“ am Donnerstag. Nicht das Geisterderby Borussia Dortmund gegen FC Schalke, nicht der bevorstehende Transfer von Leroy Sané zum FC Bayern stand auf dem Titel, sondern die Zwistigkeiten, wie mit einem vorzeitigen Saisonabbruch umgegangen wird. Weil das Thema offenbar so viel Streitpotenzial birgt, sah die Deutsche Fußball-Liga (DFL) nach der virtuellen Mitgliederversammlung am Donnerstag erstmals von einer Pressekonferenz ab. Stattdessen verschickte die Liga-Organisation nur eine Pressemitteilung. Liga-Chef Christian Seifert ersparte sich nervige Nachfragen.
Die DFL teilte mit, die 36 Clubs hätten, abgesehen von einer Enthaltung, einstimmig die Absicht bekräftigt, die laufende Saison 2019/20 inklusive Relegation vollständig auszutragen, „soweit dies rechtlich zulässig ist, und falls notwendig über den 30. Juni hinaus im Juli fortzusetzen“. Damit gibt es für weitere Quarantäne-Maßnahmen wie im Fall Dynamo Dresden – das gesamte Team wurde vom örtlichen Gesundheitsamt 14 Tage aus dem Verkehr gezogen – einen zeitlichen Puffer. Die Liga nimmt rechtliche Unsicherheiten bei den auslaufenden Verträgen als kleineres Übel in Kauf.
Die Integration des Konzepts der „Task Force Sportmedizin/Sonderspielbetrieb“ als Anhang in die Spielordnung wurde ebenso abgesegnet wie eine Erhöhung des Auswechselkontingents auf fünf Spieler, nachdem das International Football Association Board (IFAB) diese Möglichkeit eröffnet hatte. Zudem gibt es wie erwartet die Option, ein Spiel in ein fremdes Stadion zu verlegen, wenn übergeordnete Gründe vorliegen. Etwa ein lokales Infektionsgeschehen. Würde beispielsweise das Virus verstärkt nur in der Rhein-Main-Region wüten, sodass Frankfurt und Mainz ihre Arenen nicht nutzen können, müssten die Klubs vielleicht in Hoffenheim oder Freiburg ihre Partien austragen.
Für den heiklen Fall, dass die Saison vorzeitig abgebrochen werden muss – möglicherweise auch durch eine zweite Pandemiewelle –, „soll innerhalb der nächsten beiden Wochen eine Regelung hinsichtlich der sportlichen Wertung entwickelt werden“, hieß es. Das heikle Thema sei nach den ergebnislos verlaufenen Teilversammlungen in der virtuellen Schalte aller Clubs „nicht vertiefend erörtert“ worden. Seifert, der auf eine einmütige Außendarstellung größten Wert gelegt hat, wird wissen, dass sich etliche Clubs von seiner Organisation überrumpelt gefühlt haben. Und wenn der FC Bayern die Beschlussvorlage des DFL-Präsidiums zurückweist, ist Gefahr im Verzuge.
Verstimmt ist ein Gros der Abstiegskandidaten, dass die Runde gewertet werden soll, selbst wenn nicht zu Ende gespielt ist. Paderborns Sport-Geschäftsführer Fabian Wohlgemuth betonte: „Werte wie Solidarität und Fairness sollten im sportlichen Wettbewerb nicht an Bedeutung einbüßen. Es muss alles getan werden, damit die Konsequenzen selbst einer Notlösung nicht einseitig verteilt werden.“
Für Fortuna Düsseldorfs Trainer Uwe Rösler ist eine Abstiegsregelung ohne komplett absolvierte Saison undenkbar. „Die Saison kann nur gewertet werden, wenn alle Spiele gewertet werden“, sagte er am Donnerstag. Der 51-Jährige verwies auf den Spielplan des Tabellen-16.: Nach dem Spiel gegen Paderborn am Samstag stehen für die Fortuna noch Partien bei Bayern München, Leipzig und gegen Dortmund an. Erst danach geht es gegen den direkten Konkurrenten FC Augsburg und Union Berlin. Rösler: „Wenn uns diese Möglichkeit genommen würde, die letzten beiden Spiele zu spielen, würde ich ganz klar von Wettbewerbsverzerrung reden.“
Ähnlichen Unmut hatte zuvor bereits Werder Bremen artikuliert. „Das ist eine Regelung, die unglaublich viel nach sich zieht. Da kann man nicht einfach en passant wenige Tage vor der Wiederaufnahme des Spielbetriebs eine Entscheidung solcher Tragweite treffen“, sagte Aufsichtsratschef Marco Bode. Speziell bei Bremer Fans greift das dumpfe Gefühl um sich, dass es einigen vielleicht ganz lieb ist, wenn sich die grün-weißen Gallier mit ihren widerspenstigen Politikern, die sich nicht nur im Polizeikostenstreit gegen die DFL stellen, ins Unterhaus verabschieden. Der streitbare Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) hat Seifert oft genug persönlich angegriffen – die Geringschätzung auf der anderen Seite ist inzwischen genauso groß.
Unabhängig davon: Werder ist aus sportlicher Sicht ebenfalls nicht zu verdenken, dass sie alle Spieltage ausgetragen haben wollen. Sie treten am vorletzten Spieltag in Mainz, dann gegen Köln an. Und es braucht nicht das legendäre Abstiegsfinale 1999, um gerade am DFL-Sitz in Frankfurt an die irren Wendungen zu erinnern, die sich beim Kampf ums Überleben in der Liga ereignen können.