Tokio – „Ich kann nur erahnen, wie hart es für ihn gewesen sein muss, einen Monat lang diese Schlacht zu führen. Aber wie ein Ringer hat er sie tapfer ausgehalten und bis zum Ende gekämpft.“ Es kommt vor, dass Nobuyoshi Hokutoumi solche Formulierungen voller Pathos verwendet. Normalerweise bezieht sich der Präsident des japanischen Sumoverbands damit auf die Leistungen seiner Sportler im Ring. Diesmal aber konnte Hokutoumi sie nicht metaphorisch meinen. Es ging um einen Kampf, den einer seiner Athleten tatsächlich bis zum Ende führte. Bis zu seinem Tod.
Der Gegner der Schlacht hieß wie weltweit derzeit so häufig: Covid-19. Und der Sumoringer Shobushi, der Anfang April am Coronavirus erkrankte, verlor sie. Der am Mittwoch vermeldete Tod von Kiyotaka Suetaka, wie Shobushis bürgerlicher Name lautet, markiert den ersten Coronatod in Japans Profisport. Zugleich ist Shobushi wohl die erste am Virus gestorbene Person in Japan, die noch keine 30 Jahre alt war. In dem ostasiatischen Land, das bei rund 16 000 Infizierten mit 700 Todesfällen bisher eine relativ geringe Sterberate verzeichnet, sorgt das Ableben von Shobushi für große Anteilnahme.
„Trauer um den an Corona gestürzten Shobushi“, titelt die Tageszeitung „Asahi Shimbun“. Das Konkurrenzblatt „Mainichi Shimbun“ zitiert einen ehemaligen Trainer: „Er war immer schon ein harter Arbeiter, trainierte ein- bis zweimal am Tag.“ Der Vorsitzende eines Fanclubs des Sumostalls Takadagawa, in dem Shobushi trainierte und wohnte, sagte: „Ich kann das noch nicht akzeptieren. Er war ein Stimmungsmacher und hat immer gut gegessen. Ich wollte ihn bald wieder treffen.“ Die Zeitung „Nikkan Sports“ beschreibt: „Er liebte es, die Leute glücklich zu machen.“ Und der Sumoverband verneigt sich posthum vor Shobushis Einsatz: „Wir möchten dir unsere tiefe Dankbarkeit für deine Großzügigkeit und deine Unterstützung aussprechen.“
Der Name Shobushi war bisher überwiegend Sumofans ein Begriff. Gekämpft hat er in der vierten Division namens Sandanme, vom höchsten Rang des Yokozuna war er weit entfernt. Dennoch ist die Nachricht über sein Sterben eine von gesellschaftlicher Bedeutung. Der junge Mann reiht sich in die wachsende Anzahl an Virustoten ein, die bis kurz vor ihrem Tod Personen der Öffentlichkeit waren. Ende März starb mit dem 70-jährigen Ken Shimura einer der beliebtesten Komiker des Landes. Im April folgte mit der 63-jährigen Kumiko Okae eine bekannte Schauspielerin.
Shobushis Fall erzeugt nicht nur deshalb einen Schock, weil er ein Athlet ist. Tatsächlich litt er trotz seines Status als Profisportler an Diabetes. Aber unter allen Disziplinen körperlicher Ertüchtigung gilt Sumo als die härteste und hat in ihren Ursprüngen vor Tausenden von Jahren auch religiöse Funktion. Die Kolosse, die sich hier bis in den Profisport durchringen, sieht man gern als unerschütterliche Wesen an. Dass das Coronavirus selbst einem so schweren und körperlich trainierten Menschen den Rest geben kann, erinnert die Menschen in Japan aufs Neue an die Erfahrungen, die von der Pandemie ausgehen.
Gerade diese Woche hat Japans Regierung eine Lockerung ihrer Maßnahmen verkündet. In 39 der 47 japanischen Präfekturen wurde der im April verhängte Ausnahmezustand am Donnerstag aufgehoben. In Metropolen wie Tokio und Osaka bleibt er aber bestehen. Denn gerade diese sind weiterhin Epizentren für weitere Infektionen. Und man fragt sich zudem: Wer ist vor dem Virus sicher, wenn schon nicht einer der Kräftigsten?
Als Shobushi am 4. April mit Fieber ins Krankenhaus eingeliefert wurde, war er schon lange nicht mehr der einzige Profisportler, der infiziert war. Fußballprofi Gotoku Sakai, einst für den Hamburger SV im Einsatz und derzeit bei Vissel Kobe unter Vertrag, war schon Ende März positiv getestet worden. Kurz darauf erkrankte auch Kozo Tashima, Präsident des japanischen Fußballverbands und Mitglied des Organisationskomitees der Olympischen Spiele von Tokio 2020. Und in Shobushis Sumostall Takadagawa wurden der Stallmeister sowie der Ringer Hakuyozan positiv getestet. Zwar sind die beiden mittlerweile aus dem Krankenhaus entlassen. Doch der Respekt vor dem Virus scheint spätestens jetzt nachhaltig zu sein.
Noch am Tag des Todes von Shobushi verkündete der Sumoverband, dass Antikörpertests bei möglichst allen Mitgliedern durchgeführt werden sollen. Das Vorhaben soll rund einen Monat dauern, dann will man ein etwaiges Bild vom Ausmaß des Virus in der Sumoszene haben. Bis jetzt ist Japan nämlich auch dafür bekannt, dass nur relativ wenig getestet wird, weshalb vor allem Fälle mit milden Symptomen unerkannt bleiben könnten. Darüber, ob das ganze Land mehr Tests durchführen sollte, wird seit Wochen diskutiert. Kaum gesprochen wird dagegen über die Frage, ob schnellstmöglich wieder der Profisport hochgefahren werden sollte. In Japan herrscht die Meinung vor, dass es im Moment andere Probleme gibt.