„Priorität ist erst mal, gesund zu bleiben“

von Redaktion

Physiotherapeuth Oliver Schmidtlein über Restart, Verletzungsrisiken und seelische Corona-Spuren

München – Oliver Schmidtlein (54) war unter Felix Magath und Jürgen Klinsmann Physiotherapeut und Rehatrainer beim FC Bayern. Mit unserer Zeitung sprach er über die besonderen Voraussetzungen des Ligastarts.

Herr Schmidtlein, ist aufgrund der Mini-Vorbereitung mit einem erhöhten Verletzungsaufkommen zu rechnen?

Ich bin mir sicher, dass die Verantwortlichen bei der DFL auch darüber nachgedacht haben. Die Situation lässt sich vielleicht mit Testspielen in der Sommervorbereitung vergleichen: Priorität ist erst mal, gesund zu bleiben. Daher bin ich überzeugt, dass nicht reihenweise Spieler ausfallen werden.

Ist das Verletzungsrisiko denn grundsätzlich erhöht?

Fakt ist, dass es eine derartige Situation im Sport noch nie gegeben hat. In der NFL (US-Profiliga für American Football, d. Red.) gab es 2011 mal eine ähnliche Situation: Damals hatten die Spieler aufgrund eines abgelaufenen Tarifvertrags 19 Wochen lang keinen Zugang mehr zu den Trainingseinrichtungen. In den ersten zwölf Tagen des Trainingslagers vor dem Saisonstart rissen sich daraufhin zehn Spieler ihre Achillessehnen. Das Risiko ist da, aber es lässt sich auch mithilfe von verstärktem Präventionstraining minimieren.

Inwieweit werden sich die letzten Monate physisch und psychisch auf die Spieler auswirken?

Die teilweise drastischen Einschränkungen werden auch an den Fußballprofis nicht spurlos vorübergegangen sein. Das Verzwickte ist: Körperliche wie seelische Spuren müssen nicht unbedingt sichtbar sein. Es ist kein Geheimnis, dass das physische Momentum der Spieler aktuell nicht ideal ist, es ist jedoch auch nicht katastrophal. Sie haben sich ja schließlich bestmöglich fit gehalten während des Lockdowns. Meiner Meinung nach werden sich diese Mini-Defizite eher im spielerischen Niveau bemerkbar machen. Eben so, wie es auch in der Sommervorbereitung zu sehen ist.

Worauf müssen die Schwerpunkte im Fitnesstraining im Sinne der Verletzungsprävention gelegt werden?

Fitnesstraining? Was die Jungs jetzt wirklich brauchen, ist einen Ball am Fuß. Und das mit möglichst vielen Menschen auf dem Platz und so lange und oft es geht. Einheiten ohne Ball dürfte es nur im Sinne der Erholung nach Spielen oder mit Blick auf die Erhaltung der Beweglichkeit und Stabilität geben. Natürlich auch, um Überlastungsreaktionen zu vermeiden. Hierbei handelt es sich schließlich um die häufigsten Verletzungen im Fußball – die, die ohne Kontakt erfolgen.

Hat die Mannschaft, die während des Lockdowns am meisten an ihrer Fitness gearbeitet hat, jetzt die größten Chancen?

Im Sinne der Verletzungsprävention sind diese Mannschaften eher auf der sicheren Seite als andere. Aber es bleibt die Ungewissheit. Niemand, auch der Fußball nicht, hat so eine Situation jemals erlebt. Und sie müssen eines wissen: Auch der Druck spielt hier eine große Rolle. Jener Druck, der im Sinne verantwortungsbewussten Handels aktuell aus unserer Gesellschaft lastet, macht auch vor Spielern, Trainern und Offiziellen nicht Halt. Im Gegenteil: Das Konzept der DFL ist enorm umfangreich und muss nun von allen umgesetzt werden. Ganz zu schweigen von den unzähligen Tests, die alle über sich ergehen lassen müssen. All das ist Druck. Wie und ob die Bundesliga all dem gewachsen ist, wird sich zeigen.

Interview: José Carlos Menzel López

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