Berlin – Der Gedanke schießt mir am Vorabend kurz vor dem Einschlafen durch den Kopf: Was wäre, wenn meine Körpertemperatur vor dem Spiel des FC Bayern bei Union Berlin zu hoch wäre und mir nach dem vorgeschriebenen Gesundheits-Check für Journalisten der Zutritt zum Stadion verwehrt wird?
Das Horror-Szenario wird schnell verworfen, nach fünf Stunden Autofahrt von München nach Berlin ist es aber real: Beim Fiebermessen im Eingangsbereich der Alten Försterei zeigt das Gerät 38,4 Grad an. „Zu hoch“, meint der Sanitäter trocken und schickt mich wieder vor die Tür. Die magische Grenze, die über den Einlass entscheidet, liegt unter 38 Grad. Gott sei Dank nur ein Messfehler – beim zweiten Messen liegt meine Temperatur bei 36,6 Grad. Geht doch, ich bin drin. Meinem ersten Bundesliga-Geisterspiel mit dem FC Bayern steht nichts im Weg.
Da sich auf der Pressetribüne nur zehn Journalisten aufhalten dürfen, sind die meisten Klapptische mit Spanngurten festgeschnallt. Um 17.57 Uhr betritt Thomas Müller als erster Münchner den Platz. Spätestens als die Einlauf-Musik von Union zu harten Heavy-Metal-Tönen erklingt, wissen auch die letzten der im Stadion Anwesenden, dass sie bald ihr erstes Geisterspiel erleben. Während die Berliner Spieler noch einigermaßen geordnet auf den Rasen marschieren, geschieht das bei den FCB-Stars tröpfchenweise. Das erinnert stark an die Atmosphäre im Amateur-Fußball – würde es nicht selbst in der C-Klasse ein geordnetes Einlauf-Ritual geben.
Der häufig so abgehobene Profi-Fußball ist bei diesem Geisterspiel in Berlin ungewohnt nahbar. Das liegt unter anderem am beschaulichen Stadion mit den verwaisten Stehplatz-Traversen entlang der grauen Beton-Tribüne. Es hat aber freilich auch mit den nicht vorhandenen Fangesängen und Nebengeräuschen zu tun. So sind die Kommandos der Spieler und das Zischen des Balles deutlich zu hören. Mit diesem Geräuschpegel wirkt eine unsaubere Ballannahme eines hoch bezahlten Bayern-Profis einfach menschlicher –vielleicht sogar sympathisch amateurhafter.
Dadurch, dass die Entfernung zwischen Pressetribüne und Rasen sehr gering ist, sind quasi sämtliche Anweisungen der Spieler zu hören. Den Ton geben vor allem Manuel Neuer, David Alaba und Thomas Müller an. „Männer, Spannung“, schreit Neuer nach der ersten Chance der Hausherren. Einen verunglückten Abschlag kommentiert der Schlussmann mit: „Ey, was schlag ich denn heute wieder?!“ Was man den Münchnern anmerkt: Sie sind sehr bemüht, sich an sämtliche Hygiene-Regeln zu halten: Abgeklatscht wird maximal mit Ellenbogen oder Faust an Faust. Der Mundschutz wird erst beim Betreten des Rasens abgelegt.
Nur nach den beiden Toren müssen sich die Spieler kurz selbst maßregeln, um sich nicht um den Hals zu fallen. In diesen Momenten ist das Jubel-Geschehen doch sehr gehemmt. Das gilt auch für die Reservisten, die in Berlin nicht auf der Bank, sondern in den untersten Reihen der Haupttribüne sitzen. Von hier aus hat man übrigens einen einwandfreien Blick auf die einzige LED-Leinwand im Stadion. Und von dort aus grüßt eine Viertelstunde nach Abpfiff Hansi Flick. Die Spieltags-Konferenz findet per Video-Schalte statt, die Fragen werden vorher per Mail gesendet. Flick und Unions Interimstrainer Markus Hoffmann über Leinwand – der Abschluss der Berliner Geisterspiel-Erfahrung.