Zeigen die Übertragungen die Realität in den Stadien?

von Redaktion

Wie es ist, wenn man Fußball erst live vor Ort erlebt und anschließend die aufgezeichneten Sendungen ansieht

VON GÜNTER KLEIN

Augsburg – Nehmen wir die Zeitspanne: Samstagnachmittag, 15.29 bis 15.30 Uhr.

Sky drehte auf, leuchtete in jedes Stadion. Über die leeren Ränge waren virtuelle Blockfahnen mit den Vereinsemblemen gelegt worden, die Arenen waren bunt und nicht Betonblöcke. Eine große Illusion. Man könnte auch sagen: eine Vertuschung.

Wer das Privileg hatte, am Samstag in einem Stadion zu sein, der erlebte die Minute, bevor es losging, anders. In Augsburg war es so: 22 Spieler standen wie eingefroren in ihrer Grundformation. Das Geräusch, das zu vernehmen war, kam von der Bundesstraße 17, die vierspurig an der Arena vorbeiführt. Stadien, meist an den Rändern der Städte gelegen, schaffen ihre eigenen Welten, für 90 Minuten gibt es keine Außenwelt. Nun schon. Als die Uhr auf 15.30 umspringt und Schiedsrichter Felix Brych anpfeift, ist das erlösend. Aber später wird man immer wieder hören, wie draußen auf der Straße Autos und Motorräder beschleunigen.

Ja, es gibt Unterschiede zwischen der Realität in den Stadien, die nur noch um die 300 Leute nach einer festgelegten Prozedur (Formular über medizinische Nichtauffälligkeiten der vergangenen 14 Tage ausfüllen, Haftungsausschluss der Veranstalter DFL und Verein unterschreiben, Temperatur messen lassen) betreten dürfen. Das Fernsehen, das die Bilder von der DFL-Tochter Sportcast bekommt, kann manche Traurigkeit dieser Zeit überspielen, die Wirklichkeit im Großen und Ganzen aber nicht verfälschen. Die völlige Verlassenheit der Ränge auf drei Seiten des Stadions springt einen an – egal ob man leibhaftig oder später beim Anschauen der aufgezeichneten Sky-Konferenz dabei ist.

Was am Fernsehen mächtiger rüberkommt: die Lautstärke. Wenn ein Tor fällt, klingt es so, als halte sich irgendwo im Stadion eine Jubelkohorte auf, als seien doch mehr Leute da als erlaubt, auserwählte Fans mit gutem Stimmvolumen. Hansi Küpper, einer der Sky-Kommentatoren, hat vom „Applaus von 300 Menschen“ gesprochen. Das stimmt nicht. 300, da sind ja alle zusammengerechnet im Stadion: Die Spieler, Trainer, Ersatzleute. Sie allein sind es, die für den Jubelsound sorgen. Denn die Journalisten jubeln nicht, das sollen sie nicht tun, sie sind auch beschäftigt. Gleiches gilt für die Balljungen (vier), die paar Ordner. Rechnet man die Medien weg, bleibt vom Ambiente tatsächlich noch weniger als Kreisklasse. Denn es fehlen schließlich die Spielerfrauen und das Kuchenbüffet der Frau des Präsidenten.

Die Umstände haben sich geändert, „aber es ist immer noch das alte Spiel“, hat Wolf-Christoph Fuss bei Sky seine Reportage angefangen. Und es stimmt: Wenn die Kamera Aktion auf dem Grün zeigt, das Tempo hoch ist und ein Spielzug gelungen, dann vergisst man am TV-Gerät die Leere des Stadions und achtet nicht darauf, ob die Stimmen hallen. Es gibt diese Momente, in denen der Fußball der alte Vertraute ist, der nur ein paar Wochen unpässlich und krankgeschrieben war.

Die Zahlen, die am Sonntag übermittelt wurden, sind auch eine wuchtige Bestätigung dafür, dass die Bundesliga, die in dieser Form von ihren treuen Fans abgelehnt wird (Transparent in Augsburg im leeren Block: „Der Fußball wird leben – euer Business ist krank!“) eine (Lauf-)Kundschaft gefunden hat. Sky verzeichnete im Pay-TV 3,68 Millionen Zuschauer in den Einzelspielen und der Konferenz um 15.30 Uhr, 2,45 Millionen im frei empfangbaren Sky Sport News. Zusammen sechs Millionen – Rekord – und ein Marktanteil von 60 Prozent.

In einigen Punkten war das TV-Angebot reduziert. Die Zweitrechteinhaber ARD und ZDF durften keine Reporter in den Innenraum schicken, Interviews mussten von den Presseplätzen aus (oft unterm Dach platziert) geführt werden. Den Trainern und Spielern hielten die Techniker Mikrofone an langen Angeln hin. Einige Kommentatoren müssen sich auch noch von Gewohnheiten lösen. In der Sportschau hieß es, Hoffenheim habe „das 34. Gegentor vor eigenem Publikum kassiert“. Nein, vor eigenem Publikum sind keine drei hinzugekommen am Samstag. Viele werden aber gnädig darüber hinweghören. Und es wird Gewöhnung einsetzen an die neuen Übertragungen.

Im Stadion fällt Gewöhnung schwerer. Der Fußball führt keine Interaktion, sondern Selbstgespräche mit erstaunlich banalen Codes wie „Spielen“ und „Hintermann“. Man hört das deutlich heraus, im TV wird dagegen ein Soundbrei transportiert.

Das Stadion ist bis auf Weiteres nur das Studio. Wird für die Produktion benötigt.

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