Diese Entscheidung war ein Volltreffer: In Wochen fast ohne Live-Sport haben die Produzenten und Regisseur Jason Hehir beschlossen, ihre Dokumentation „The Last Dance“ früher als geplant auszustrahlen. So zogen die zehn Folgen um den letzten Meistertitel der Chicago Bulls (1998) mit Superstar Michael Jordan zuletzt nicht nur Basketball-Fans in ihren Bann.
Gerüchte, dass Jordan nicht selten Mitspieler mit Psychospielchen drangsalierte und Furcht und Schrecken in der Kabine verbreitete, wurden bestätigt. Zurück bleibt der Eindruck: Ein unfassbar talentierter Jahrhundertathlet wird mit beispiellosem Ehrgeiz zur Legende, doch auf der Strecke bleibt seine Menschlichkeit.
Es sagt viel aus, dass sein co-genialer Partner vom Spielfeld, Scottie Pippen, sich zu der Doku, die Jordan vor Veröffentlichung freigeben musste, nicht äußert. Kein Kommentar. Kein Tweet. Nix. Aus dem Umfeld Pippens hört man, er sei über die Darstellung seiner Person und Jordans Äußerungen vor der Kamera schwer enttäuscht.
Die Antipathie, die Jordan schon vor „The Last Dance“ zu spüren bekam, nimmt der 57-Jährige billigend in Kauf. Er behauptet: Nur so sei der Erfolg möglich gewesen. Doch es gibt Gegenbeispiele – und eines kommt aus Deutschland, genauer gesagt aus Würzburg: Es lohnt sich nach dem Jordan-Epos zum Dirk-Nowitzki-Film „Der perfekte Wurf“ zu wechseln. Nowitzki widerlegt die Jordan-These, dass sich Ergebnisse und respektvoller Umgang innerhalb einer Mannschaft ausschließen.
Keiner seiner Mitspieler findet ein negatives Wort über „Dirkules“. Sie sind begeistert von seiner Leidenschaft für das Spiel. Folgen ihm, weil sie seine Wertschätzung spüren – nicht aus Angst vor ihm. Nun hat Nowitzki nicht wie Jordan sechs Meisterschaften gewonnen. Sondern nur eine. Sein Weg aus der deutschen Provinz an die Spitze der Ausnahmeliga in den USA ist jedoch mehr als sein NBA-Titel von 2011 wert. Trotzdem behält der US-Amerikaner gegen den Deutschen in der rein sportlichen Hinterlassenschaft die Oberhand. Ob einem das die Sprachlosigkeit ehemaliger Weggefährten wert ist?
Dirk Nowitzki hat seine Menschlichkeit bewahrt. Darauf kann er mindestens so stolz sein wie auf die sportlichen Erfolge.
Michael Jordan muss sein Erbe einsam bewundern.
Daniel.Mueksch@ovb.net