Lucien Favre blüht auf

Die Gunst der Geisterstunde

von Redaktion

GÜNTER KLEIN

Was sich ja nicht geändert hat in der Präsentation des Fußballs: Die Kamera saugt sich an den Trainern fest. Eigentlich ist diese Perspektive sogar noch attraktiver geworden, weil die Trainer die einzigen Figuren außerhalb des Rasens sind, die die DFL von der Mundnasenschutzpflicht befreit hat und die somit Gesichtskino bieten können. Und was sehen wir? Etwas, das sich doch massiv verändert hat: Lucien Favre ist kein von der Unvollständigkeit des Dortmunder Spiels gequälter Übungsleiter mehr, sondern ein glücklicher Mensch.

Lucien Favre hat das ideale Naturell für diese Zeiten. Das hat man bereits erahnen können, als er vor einigen Wochen sagte, er fühle sich eigentlich ganz gut, so wie das Leben gerade verläuft: weniger Betriebsamkeit, mehr Stille, das Tempo herausgenommen. Frau Favre, Herr Favre, mehr als diese vertraute Zweisamkeit in der Quarantäne brauche es nicht, und man stellt sich vor, wie das Ehepaar sich feierlich eine Flasche stilles Wasser aufschraubt.

Man hat ihm immer vorgeworfen, er treffe ungern Entscheidungen. Sein Vorgesetzter früher bei Hertha BSC, Dieter Hoeneß, sprach gar den bösen Satz, dass Lucien Favre im Supermarkt verhungern würde, „weil er sich nicht zwischen Wurst- und Käsetheke entscheiden“ könne. Ja, Favre ist Zweifler – und darum fühlt er sich gut aufgehoben in einer Phase, in der alles ungewiss ist.

BVB-Trainer sollten im normalen Fußballleben Rampensäue sein. Modell Klopp. Thomas Tuchel wirkte nicht so herzlich, aber exzentrisch war er auch, darum gewann er den Pokal. Beide beherrschten das Spiel mit der Energie der Massen. Lucien Favre hat die Versonnen- und Versponnenheit eines Wissenschaftlers, er könnte auch gut ein Virologe sein, der sein Glück im Labor findet.

Stadien sind die neuen Labore. Favre erblüht. Wann, wenn nicht am Dienstag, soll er die Bayern auseinandernehmen? Der Fußball hat sich ihm zugewandt, Favre kann Meister werden.

Dass er nach dem ersten Spiel, das wieder vor Zuschauern stattfindet, verschreckt zurücktreten wird, ist dann eine andere Geschichte.

Guenter.Klein@ovb.net

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