„Havertz muss man holen“

von Redaktion

Thomas Helmer über Bayerns Personalpolitik, das Clasico-Geisterspiel und Götzes Zukunft

München – Sechs Jahre in Dortmund, sieben Jahre in München: Thomas Helmer kennt den BVB und die Bayern bestens. Im „CHECK24 Doppelpass“ auf SPORT1 diskutierte der 55-Jährige am Sonntag mit seinen Gästen über das Spitzenspiel, das heute Abend (18.30 Uhr) ansteht. Im Interview blickt er auf die Partie.

Herr Helmer, der „CHECK24 Doppelpass“ lief auch in der Corona-Pause – Sie haben den Spielern etwas voraus: Kann man sich an fehlenden Applaus gewöhnen?

Ehrlich gesagt nicht. Es war und ist schon sehr ruhig im Moment. Aber wir machen das Beste draus.

Seit zwei Wochen kann immerhin wieder über Fußball auf dem Platz gesprochen werden.

Das stimmt. Es haben andere Themen reingespielt wie die Politik. Aber wir haben am Wochenende gemerkt, dass wir zweieinhalb Stunden nur über die Spiele gesprochen haben. Danach haben wir gesagt: Das tat jetzt auch mal wieder gut (lacht).

Sie haben zu Ihrem Einstand gesagt, Sie wollen auch mal Gäste haben, die bisher immer abgesagt haben. Wer fehlt?

Ich mag es immer, Farbtupfer zu setzen. Markus Söder war toll, auch Till Schweiger hatten wir ja mal da. Aber es gibt schon den einen oder anderen, den ich gerne mal als Gast hätte. Joachim Löw zum Beispiel oder Jürgen Klopp, der zuletzt als Dortmund-Coach da war.

Damals, als der BVB die Bayern richtig ärgerte.

Stimmt, da ging es heiß her. Aber ich freue mich auch auf das Clasico-Geisterspiel. Auch wenn die Stimmung aus der Süd fehlen wird.

Die ist so gut, dass Sie nach Ihrem Wechsel 1992 als Bayer glatt in die falsche Kurve gelaufen sind.

Beim Warmmachen, genau! Ich bin ganz automatisch auf die Südtribüne zugelaufen. Da wurde ich richtig ausgepfiffen. Heute ist das doch eine herrliche Anekdote! Aber dann haben wir 2:1 gewonnen, ich habe ein Tor geschossen und eins vorbereitet. So bringt man die Süd auch zum Schweigen…

Zuletzt waren die Spiele meist deutlich für die Bayern. Was passiert heute?

Ich glaube, es wird ein ausgeglichenes Spiel. Oder anders: Ich hoffe es. Dortmund braucht Glück, um die Bayern zu schlagen, einen echten Sahnetag. Aber sie können das! Die Umstellung auf Dreierkette hat ihnen gutgetan, und die Jungs vorne – Haaland sowieso, aber auch Brandt und Hazard – werden den Bayern viel Arbeit machen. Sie können 90 Minuten auf hohem Niveau spielen. Es bleibt ihnen auch nichts anderes übrig, wenn sie Meister werden wollen. Für mich war es das, wenn sie verlieren. Dann kann man den Bayern gratulieren.

Die 100-Tore-Marke steht im Raum, Thomas Müller, David Alaba und Co. blühen auf. Ist das alles ein reines Flick-Werk?

Ein bisschen Glück gehört da auch dazu, aber alles in allem macht Hansi Flick das schon sehr, sehr gut. Thomas Müller ist da für mich das beste Beispiel. Den muss man halt machen lassen, dann liefert der auch. Ich sehe da in vielen Belangen Flicks Handschrift.

Im Hinspiel war Flick Interimstrainer, während Lucien Favre wackelte. Aktuell wirkt der BVB-Trainer aber wie fest im Sattel.

Er stand ja lange in der Kritik, man ist da nicht zimperlich mit ihm umgegangen. Aber ich glaube, diese Zwangspause hat ihm gutgetan. Der ist jeden Tag am Trainingsgelände gewesen, hat getüftelt, hat seine Spieler nach vorne gebracht, was Taktik und Spielzüge angeht. Das mag als Spieler anstrengend sein, aber die Dortmunder wirken mir seit der Pause weiter als davor.

Ist er aber der Richtige, um den BVB dauerhaft zum Spitzenteam zu machen?

Das denke ich schon. Man darf nicht vergessen, dass die ein Top-Team haben. Wenn man es sich leisten kann, Mario Götze abzugeben und kaum über einen verletzten Kapitän wie Marco Reus zu reden, spricht das für einen Verein. Das ist eine Top-Truppe. Und Favre kann aus dieser noch mehr rausholen.

Die Trennung von Götze war unvermeidlich. War der Zeitpunkt aber falsch?

Mario wusste das schon, für ihn kam das ja nicht überraschend. Trotzdem ist es bitter. Dieses Bild da in Wolfsburg – es wird fünf Mal gewechselt und er kommt nicht rein –, das tut schon weh. Ich bewundere da immer noch seine Ruhe, auch jetzt hat er ja nichts gesagt. Aber in dem System von Favre hat er keinen Platz. Deshalb ist ein Neuanfang für ihn das Beste.

Wo sehen Sie ihn?

Ohne Corona-Krise würde ich sagen: Im Ausland. Italien wird diskutiert, für mich wäre aber eigentlich Liverpool der ideale Verein. Jürgen Klopp würde ihn wieder hinkriegen, da bin ich sicher. Die Reds haben zwar viele Spieler – aber auch viele Spiele.

Als viele Clubs ankündigten, keine Transfers zu tätigen, sagten die Bayern: Wir holen einen Topstar! Ein falsches Zeichen – oder ein Zeichen der Stärke?

Im Zusammenhang mit der ganzen Demut-Debatte war es mit Sicherheit das falsche Zeichen. Aber trotzdem ist es auch ein Signal: Wir können das! Das haben sie nicht gemacht, um die anderen zu erschrecken – sie können es ja auch umsetzen.

Freuen Sie sich also auf Leroy Sané?

Ein toller Spieler! Der passt zu Bayern. Er würde nicht nur das Team, sondern die gesamte Bundesliga bereichern. Wenn man ihn Fußball spielen sieht, geht man gerne ins Stadion. Also: Wenn man wieder darf…

Sie gelten auch als Havertz-Fan.

Absolut! Und ich sage noch mal: Den muss man holen!

Sané und Havertz?

Wirtschaftlich kann ich das nicht beurteilen, sportlich auf jeden Fall. Man sieht doch jetzt nach der Pause, was der kann. Die Wertschätzung in Leverkusen ist kein Zufall – und der ist noch lange nicht am Ende. Der kann ganz oben landen.

So wurde auch über Mario Götze einst geredet.

Der Schritt nach München kann auch zu früh kommen, das stimmt. Wenn Leverkusen in die Champions League kommt, tut ihm auch noch ein Jahr dort gut. Das wäre auch kein Fehler! Ich spreche da mehr aus der Bayern-Perspektive, und da sage ich: Holen! Unbedingt!

Wer verlängert als nächstes: Thiago, Alaba, Boateng?

Thiago. Die Entwicklung von Boateng – dem „alten Eisen“ – finde ich einfach klasse. Und bei Alaba wird es am schwierigsten. Das liegt nicht an den Bayern, sondern an ihm. Er sieht schon auch die Optionen, die er hat. Ich finde es spannend, was passiert, wenn Niklas Süle zurückkommt. Spielt Alaba dann noch Innenverteidiger? Verdrängt er dann Alphonso Davies? Und will er diesen Konkurrenzkampf?

Lucas Hernandez haben Sie erst gar nicht erwähnt.

Es ist immer eine Gefahr, einen verletzten Spieler zu holen. Dazu noch einen, der die Bürde von 80 Millionen Euro auf dem Buckel hat. Die anderen machen es im Moment einfach zu gut. Und für ihn wird es mit jeder Verletzung schwieriger, die alte Form zu bekommen. Das war kein guter Start in München.

Heute wird er wohl auf der Bank sitzen. Ihr Tipp?

Wie immer: 2:2.

Da lagen Sie aber oft daneben…

… irgendwann muss es ja mal klappen (lacht).

Interview: Hanna Raif

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