München – Erste oder letzte Male bleiben ja besonders gut in Erinnerung, und im Fall von Uli Hoeneß hatte der finale Auftritt auch noch mal Gewicht. Als der scheidende Präsident im November des vergangenen Jahres zum letzten Mal als Präsident aus der Kabine des FC Bayern marschierte, wollte er noch etwas los werden. „Der Hansi“, so sagte er damals, habe seine Aufgabe bravourös gemeistert, und so ist es ja nur logisch, dass der Hansi weitermachen soll. An diesem Abend durfte Hoeneß noch mal etwas Großes verkünden, und Trainer Flick wurde von der Interims- zur Dauerlösung beim FC Bayern. Vorangegangen war: ein 4:0 gegen Borussia Dortmund.
Knapp ein halbes Jahr ist das nun her, Corona-bedingt liegt eine überdurchschnittlich lange Zeitspanne zwischen Hin- und Rückspiel. Und man übertreibt auch nicht, wenn man sagt, dass sich so gut wie alle Begleitumstände geändert haben, wenn die Bayern heute (18.30 Uhr) zum nächsten deutschen „Clasico“ in Dortmund gastieren. Beide Teams haben eine Herbstkrise und eine bisher nahezu vorbildliche Rückrunde hinter sich. Die Trainer – damals: der neue Flick, der angezählte Lucien Favre – stehen nicht mehr allzu sehr im Fokus. Die Tribünen sind leer. Trotzdem ist es „ein schönes Spiel, das wir uns alle wünschen“, sagte Flick gestern. Der einfache Grund: „Man misst sich mit den Besten.“ Er grinste.
Flick gibt sich heute anders als damals. Im November, als er urplötzlich im Rampenlicht stand, war ihm all das noch nicht ganz geheuer. Gestern, kurz vor der Abreise, nahm er gelassen auf seinem Stuhl Platz, lachte, fand aber auch ernste Worte. Auf große Kampfansagen wartete man vergeblich, der 55-Jährige wäre offiziell schon zufrieden, „wenn hinten die null steht“. Im Vergleich zum 5:2 gegen Frankfurt müsse man sich „etwas verbessern“, er forderte „Tempo, Druck, Dynamik und Sicherheit“. Und er stellte auch klar, dass das Duell an der Tabellenspitze – vier Punkte trennen die Bayern vom BVB – für ihn nicht vorentscheidend im Meisterkampf ist. Anders sieht das BVB-Sportdirektor Michael Zorc: „Wenn wir weiter um den Titel mitspielen wollen, sollten wir gewinnen.“
Sechs Spiele bleiben nach dem Liga-Gipfel, und auch wenn Flick es nicht ausspricht, wäre ein Sieben-Punkte-Polster mit Blick auf die derzeitige Form seiner Truppe doch kaum aufzuholen. „Jeder Spieler“, sagte er, „ist noch einmal ein bisschen mehr motiviert“. Das liegt zum einen freilich an der Ausgangslage, zum anderen aber auch an der Entwicklung, die dieses Team unter ihm genommen hat. Jeder will „an seine Grenzen gehen“, das fordert Flick auch. Mit Weitsicht brach er in der vergangenen Woche eine Trainingseinheit ab, in der ihm die Intensität zu gering war. Flick will auch ohne Zuschauer „Mentalität“ sehen, sagt er. Tag für Tag, aber vor allem heute.
Allein der Blick auf die Gesprächsthemen von gestern zeigt, wo Flick angesetzt hat. Am Tag vor dem Spiel ging es um Details, um einzelne Profis, um seine Stützen. Da wurde natürlich über Thomas Müller geredet, der laut Flick „das Mia san Mia perfekt verkörpert“. Über David Alaba, dem Flick in einem Einzelgespräch mitgeteilt hat, „dass ich mir wünsche, dass er weiter ein Teil von Bayern München bleibt“. Und über Jerome Boateng, der sich fit gemeldet hat und von Flick „die Wertschätzung bekommt, die er verdient“. Dass Thiago weiter fehlt (Adduktoren), ist bitter, aber aktuell verschmerzbar. Die Bayern kommen aus einer „Position der Stärke“, aber auch der BVB, so sagte Trainer Favre, ist „besser geworden“. Neues System (3-4-3), neue Führungsspieler (Emre Can, Erling Haaland), mehr Präsenz.
Als Uli Hoeneß an diesem Novemberabend vor den Mikrofonen stand, saß Favre übrigens aschfahl auf dem Podium der Allianz Arena. Kaum jemand glaubte, dass der Schweizer ein halbes Jahr später noch im Amt sein würde. Nicht mal er selbst.