Dortmund/München – Das Herz, so hatte es Oliver Kahn vor der Partie gesagt, blute ihm, wenn er in das leere Dortmunder Stadion blickt. Ein Gipfeltreffen vor verwaiste Rängen, das hat schon etwas Komisches, aber gut eineinhalb Stunden später war die fehlende Kulisse dann auch egal. Kahn stand von seinem Sitz auf der Ehrentribüne auf, lief auf seinen Vorstandskollegen Karl-Heinz Rummenigge zu und gab ihm einen kräftigen Ellenbogen-an-Ellenbogen-Check. Ja, so sehen Sieger dieser Tage aus. Und so jubeln heuer auch die Deutschen Meister.
Unten, auf dem Rasen, als das 1:0 (1:0) des FC Bayern bei Borussia Dortmund gerade abgepfiffen und der Abstand auf den Tabellenzweiten auf komfortable sieben Punkte ausgebaut worden war, sah man doch andere Szenen. Eine kollektive Jubeltraube war freilich nicht erlaubt, aber allein der Blick auf Matchwinner Joshua Kimmich sprach Bände. Der 25-Jährige, der die sehenswerte, wenn auch nicht spektakuläre Partie mit einem genialen Lupfer kurz vor der Pause (43.) entschieden hatte, ballte die Fäuste und schrie seine Gefühle mehrfach ins leere Rund hinaus. „Ich habe mich schon extrem gefreut“, sagte der Torschütze hinterher und fügte hinzu, was offensichtlich war: „Wir haben jetzt schon ein gutes Polster. Für die Dortmunder wird es schwierig.“
Schwierig ist untertrieben, denn die simple Rechnung, die nach dem Schlusspfiff die Runde machte, lautet: Die Bayern können sich in den verbleibenden sechs Geisterspielen mindestens zwei Niederlagen erlauben und werden trotzdem zum achten Mal in Serie Meister. „Es liegt jetzt an uns“, sagte Kapitän Manuel Neuer und sprach von einem „wichtigen Zeichen“. Dortmunds Emre Can, der zur Pause kam und die Niederlage nicht verhindern konnte, merkte an: „Leider.“
Die Dortmunder hatten sich ja viel vorgenommen, denn sie wussten um ihre wohl letzte Chance. Tatsächlich machten sie ihre Sache auch deutlich besser als beim 0:4 im Hinspiel. Ein „sehr gutes Spiel“ seines Teams hat Trainer Lucien Favre gar gesehen, immerhin „kein schlechtes“ Abwehrchef Mats Hummels. Torraum-Szenen gab es auf beiden Seiten, trotzdem wirkten die Bayern über 90 Minuten zwingender. Der neunte Pflichtspielsieg in Folge war für das Team von Hansi Flick am Ende verdient, auch wenn es den „genialen Moment von Josh“ (Hummels) brauchte, um die Partie in die richtige Richtung zu lenken. „Hintenraus“, sagte Kimmich selbst, „mussten wir uns die drei Punkte aber erarbeiten“.
Flick hatte seine Elf im Vergleich zum 5:2 gegen Frankfurt auf einer Position umgestellt, Serge Gnabry kam für Ivan Perisic ins Team. Den besseren Start allerdings erwischten die Dortmunder, die früh durch Erling Haaland (1.) und Julian Brandt (4.) gefährlich wurden. Die Bayern kamen dann schnell besser ins Spiel. Gnabry (19.) und Coman (24.) hatten gute Chancen, so genial wie Kimmich aber war niemand. Der Nationalspieler sah Roman Bürki zu weit vor dem Tor stehen und lupfte. „Das schönste Tor meiner Karriere“, sagte er hinterher. Haaland hatte – ehe er angeschlagen vom Feld ging – die beste Chance auf den Ausgleich (58.), auch Dahoud prüfte Neuer. Lewandowski allerdings traf noch den Pfosten (89.). Am Ende jubelten schon die Richtigen.
Über 200 Länder verfolgten den verwandelten Matchball des Dauer-Meisters, und Hummels sagte: „Jetzt entscheiden nur noch die Bayern. Alle anderen Mannschaften sind raus.“ Für den BVB geht es darum, „den zweiten Platz zu erreichen“. Das war den Dortmundern bewusst, aber den Bayern? „Als ich mich umgeguckt habe, war mir nicht sofort klar, ob jeder wusste, wie wichtig die drei Punkte waren“, sagte Kimmich. Egal: Er schrie.