München – Der Neustart der 3. Liga ist seit Montag beschlossene Sache. Die Löwen haben jetzt elf Spiele Zeit, um ihren Traum vom Aufstieg in die Tat umzusetzen. Das erste Training im menschenleeren Grünwalder Stadion gab es bereits eine Woche vor dem Ernstfall gegen Duisburg (Sonntag, 13 Uhr), doch kam man sich überhaupt an eine Geisterkulisse gewöhnen? Marco Hiller, 23, war 2017 dabei, als die damaligen Regionalliga-Löwen schon einmal ein Punktspiel ohne Zuschauer bestreiten müssen. Im Interview mit unserer Zeitung erinnert sich der Torwart an Hitze, viele Tore (5:3 gegen Nürnberg II) und die seltsame Stille hinter seinem Rücken.
Marco Hiller, wie fühlt sich so ein Geisterspiel an?
Wie der Name schon sagt: Das ist wirklich sehr gespenstisch, in einem leeren Stadion zu spielen. Vor allem: Wir als Sechzig sind es eigentlich gewohnt, dass die Ränge komplett voll sind. Das ist schon sehr ungewohnt. Man hört jeden einzelnen Spieler rufen, was sonst ja gar nicht der Fall ist. Da fehlt einfach diese gewisse Atmosphäre, die sonst Fußballspiele ausmacht. Da sieht man mal, wie wichtig jeder einzelne Fan ist.
Fällt es da schwerer, sich zu motivieren?
Normal bist du automatisch motiviert, wenn du ins Stadion reingehst. Jetzt ist es die Aufgabe von jedem einzelnen Spieler, sich selbst zu motivieren. Du musst es irgendwie ausblenden, dass keine Fans im Stadion sind. Das ist auch das, was der Trainer uns jeden Tag sagt. Dass wir jetzt selbst in der Verantwortung stehen und es unsere Aufgabe ist, uns in jedem Training so zu pushen, dass wir am Wochenende keinen Unterschied spüren, ob da 15 000 Fans sind oder nicht.
Wenn Sie an das 5:3 damals zurückdenken: Gab es Momente, wo man als Mannschaft unbewusst in den Trainingsmodus geschaltet hat?
Als Außenstehender denkt man das vielleicht. Wenn man aber auf dem Platz steht, ist man so aufs Spiel fokussiert, dass man alles um sich herum vergisst. Dann ist das ein ganz normales Pflichtspiel – ob mit Fans oder ohne.
Ein paar Leute sind ja trotzdem im Stadion: Betreuer, Balljungen, der eine oder andere Funktionär. Hört man die dann umso mehr?
Ja, klar. Du hörst jedes Wort – ob auf dem Platz oder auf der Tribüne.
Wie haben Sie die Fans wahrgenommen, die sich damals vor dem Stadion versammelt hatten?
Ich hab sie nicht durchgehend gehört, aber immer mal wieder ein paar Rufe. Diesmal hoffen wir, dass keine Fans ans Stadion kommen, sondern uns alle zu Hause vor dem Fernseher anfeuern. Wer im Stadion dabei sein möchte, kann sich ja an der Aktion #MachtDasSechzgerVoll beteiligen. Da sind die Fans ja zumindest mit einem Foto auf einem Mega-Banner vor Ort. Eine schöne Aktion, die uns viel Kraft geben wird.
Sie als Torwart sind ja schon positionsbedingt näher an den Fans dran. Für Sie eine Last oder eher eine Lust?
Ich find’s geil, wenn ich vor den Gästefans stehe und die dich durchgehend beleidigen. Das klingt jetzt zwar blöd, aber ich denke, das pusht einen noch mehr, das Spiel gewinnen zu wollen, es denen zu zeigen. Und wenn du vor der eigenen Kurve stehst, dann ist es erst recht was Besonderes.
Franz Beckenbauer glaubt, dass es Spieler gibt, die ohne Fans aufblühen, weil sie sonst Probleme mit den Nerven haben. Was halten Sie von dieser These?
Es kann schon sein, dass das dem einen oder anderen Spieler zugutekommt. Bei uns aber eher nicht. Die Mehrheit ist da so abgebrüht, weil wir ja regelmäßig vor vollen Rängen spielen.
Wie war es bei Ihnen, als Sie vom Stammtorwart der zweiten nahtlos zur Nummer eins bei der ersten Mannschaft wurden?
Das war auf jeden Fall eine Umstellung. Das eine war mit dem anderen nicht mehr zu vergleichen, auch wenn wir weiterhin im Grünwalder Stadion gespielt haben. Erst waren es 2000 Fans, plötzlich 12 500 – da hab ich schon meine Zeit gebraucht, mich daran zu gewöhnen.
Und dann mag man’s nicht mehr missen . . .
Auf gar keinen Fall! (lacht)
Ist es für 1860 härter als für andere Vereine, vor leeren Rängen zu spielen? Weil man ja die volle Hütte gewohnt ist.
Ich denke schon, dass die Umstellung für uns größer ist, glaube aber nicht, dass es ein Nachteil ist. Wir hatten jetzt genug Zeit, uns darauf einzustellen. Das müsste jetzt in allen Köpfen drin sein.
Bis zur Corona-Pause war 1860 in 14 Spielen hintereinander ungeschlagen. Ist die Form auf Knopfdruck wieder abrufbar?
Für die Köpfe war diese Serie auf jeden Fall hilfreich. Es war die ganzen letzten Wochen eine Riesenmotivation, da weitermachen zu wollen.
Ist das Niveau in der Pause eher runter- oder hochgegangen? Michael Köllner hatte ja noch nie so viel Zeit, mit der Mannschaft fußballerisch zu arbeiten.
Ich denke, individuell war es für die Spieler eine Chance, in Kleingruppen zu trainieren. Der Trainer konnte auf jeden Spieler genau schauen und gezielt an Schwächen arbeiten. Auch wenn es eine schwere Zeit war, kann man sie als Chance sehen. Ich denke, dass wir deswegen nicht schwächer zurückkommen, sondern noch stärker.
Bereiten sich Ihre Offensivkollegen schon auf kreativen Torjubel vor?
Bisher nicht, aber wir haben ja noch ein bisschen Zeit, uns was auszudenken (lacht).
Am Sonntag steht ja direkt ein Spitzenspiel an. Ist es ein Vor- oder ein Nachteil, dass es gleich gegen den Tabellenersten Duisburg geht?
Definitiv ein Vorteil. Dann hat man gleich einen Gradmesser, wo man steht nach der Pause. Vor allem geht man in so ein Spiel immer mit Topmotivation rein. Dann ist das Thema Geisterspiel gleich nicht mehr ganz so groß.
Ihre Prognose für die Restsaison?
Schwer zu sagen nach der langen Pause. Ziel ist, dass wir an unsere Serie anknüpfen, weiter fleißig punkten und möglichst weit nach vorne kommen.
Damals das 5:3: Freut man sich als Torwart über fünf geschossene Tore oder ärgern einen die drei Gegentore?
Ein 1:0 wäre mir lieber gewesen (lacht). Es war übrigens das heißeste Spiel, das ich jemals erlebt habe. Aber nur von den Temperaturen her.
Interview: Uli Kellner