München – Das Kuriose an dieser Geschichte ist ja, dass ausgerechnet das 100. Tor nicht jenem Mann vergönnt war, der bis dato in dieser Saison schon 40 Mal getroffen hatte. Als der Ball an diesem 28. Juni 1972 im Olympiastadion zum vierten Mal im Schalker Kasten zappelte, hatte nicht Gerd Müller, sondern Uli Hoeneß ihn da platziert. Natürlich, der spätere Manager und Präsident war ein ebenso begnadeter Torjäger. Aber es war damals, in der 101-Tore-Rekordsaison 1971/72, so, als würde am 34. Spieltag der laufenden Spielzeit nicht Robert Lewandowski, sondern Thomas Müller die 100 voll machen.
Zehn Treffer fehlen noch, das beachtliche Konto der Bayern steht seit dem verdienten 4:2 in Leverkusen – und den Toren von Kingsley Coman (27. Minute), Leon Goretzka (42.), Serge Gnabry (45.) und Lewandowski (66.) – bei 90:30. Und auch wenn Spieler und Trainer Hansi Flick konsequent darauf beharren, dass es an den verbleibenden vier Spieltagen „darum geht, Meister zu werden“ (Hansi Flick), schielen sie freilich auf die so lange unerreichte Bestmarke von vor knapp 50 Jahren. Als „Beiwerk“ bezeichnete Flick nach dem Erfolg bei Bayer, dem fünften nach der Corona-Pause, Zahlen und Statistiken. Der 55-Jährige fügte aber hinzu: „Wenn das dann so kommt, ist es schön.“
Gladbach, Bremen, Freiburg und Wolfsburg, das sind die vier Bundesliga-Gegner, die nach dem Pokal-Halbfinale gegen Eintracht Frankfurt am Mittwoch (20.45 Uhr) im Saison-Endspurt warten. Und mit Blick auf die vergleichsweise leichte Aufgabe, mit höchstens zwei Siegen aus diesen Partien zum achten Mal hintereinander Meister zu werden, ist das Ziel, zehn, elf oder am besten zwölf Tore zu schießen, eine größere Herausforderung. Mut macht die Statistik: Drei Treffer pro Spiel sind schon jetzt Bundesliga-Bestmarke, in der Triple-Saison 2013 waren es unter Jupp Heynckes zum selben Zeitpunkt 89 Treffer – und am Ende 98. So knapp vor dem Ziel will man nicht noch mal aufhören müssen.
Das 4:2 in Leverkusen, bei dem die Bayern nach einem schläfrigen Start sogar in Rückstand lagen, hat einmal mehr den Eindruck verstärkt, dass in diesem Team alles stimmt. Der neunte Sieg in Folge war schon vor der Halbzeit nur noch Formsache, zum zwölften Mal in dieser Saison haben die Münchner vier oder mehr Tore erzielt. Als Grund für die erneute Demonstration ihrer Stärke nannte Manuel Neuer „die Mentalität“. Auch der Kapitän hatte bemerkt, dass „wir etwas gebraucht haben, um ins Spiel zu kommen“. Dann aber „haben wir eiskalt zugeschlagen“.
Zwei Mal hatte Leverkusen die Bayern zuletzt geärgert, im Herbst Flick die erste Niederlage zugefügt. Diesmal aber, sagte Trainer Peter Bosz, „haben wir gegen eine Top-Mannschaft verloren“. Einer, der zwar nicht alles gelang. Über die man aber nun weiß, dass sie auch Stehauf-Qualitäten hat. Vielleicht, sagte Flick, „war es ganz gut, dass wir in Rückstand geraten sind“. Seine Mannschaft habe sich dann nämlich „aufgerappelt“. Der verletzte Kai Havertz sah von der Tribüne aus, wie die Fehler seiner Teamkollegen schamlos ausgenutzt wurden. Sollte irgendjemand noch Zweifel am Meistertitel gehabt haben, dürften auch diese zerstreut sein.
Der „Matchday-Modus“ mache sein Team stark, sagte Goretzka, „das müssen wir so beibehalten“. Gelingt es, sind die 100 Tore drin. Eigentlich ein Jammer, dass diese Bayern-Spiele derzeit vor leeren Rängen stattfinden müssen. Am 28. Juni 1972 waren 79 000 Fans im Olympiastadion – und feierten Hoeneß.