Sieben Punkte, so viel Rückstand hatte der FC Bayern vor einem halben Jahr auf die Tabellenspitze. Da stand Mönchengladbach, aber auch Herbstmeister Leipzig, der BVB, Schalke 04, Freiburg und Leverkusen lagen zu diesem Zeitpunkt – kurz vor der Winterpause – besser im Rennen als der Branchenprimus aus München. Die Fans: im Glück. Die Liga: endlich spannend. Die Konkurrenz: auf Augenhöhe. Was hat man sich damals auf einen echten Meisterkampf gefreut, ein packendes Saisonfinale, Spannung bis zum Schluss. Doch dann kam Corona. Und dann kam alles anders, bzw.: so wie immer.
Seit gestern sind die Bayern offiziell Meister, zum achten Mal hintereinander. Die Konkurrenz hatte sich damit schon lange vor dem Sieg in Bremen abgefunden, denn wenn der Rekordmeister mal sieben Punkte enteilt ist, ist die Lage – anders, als wenn er sieben Zähler hinten dran ist – aussichtslos. Die großen Standard-Töne („Wenn sie schwächeln, müssen wir da sein“) hat wieder kein Herausforderer in die Tat umsetzen können. Kurz vor dem Ende dieser besonderen Saison bleibt daher nur dasselbe Fazit wie in den vergangenen sieben Jahren: Die Bayern sind mal besiegbar, aber nicht dauerhaft verwundbar – weil sie längst in ihrer eigenen Liga spielen.
Mal wieder war diese Saison beeindruckend. Anders als die Jahre der totalen Dominanz unter Jupp Heynckes (2013) und Pep Guardiola (2014-2016). Anders als die turbulenten Spielzeiten unter Carlo Ancelotti (2017) und Heynckes (2018) sowie die sensationelle Aufholjagd unter Niko Kovac (2019). In der langen Corona-Saison ist nicht nur eine imposante Siegesserie geglückt, sondern darüber hinaus etwas passiert, das der Konkurrenz wenig Hoffnung auf Besserung macht. Unter Hansi Flick ist ein Team zusammengewachsen, das als gutes Fundament gilt, um auch international eine Ära zu prägen.
Die Bayern haben sich all das selbst erarbeitet, Vorwürfe sind fehl am Platz. Sie haben aber auch selbst dafür gesorgt, dass der nationale Triumph immer mehr zur Randnotiz verkommt. Der „ehrlichste Titel“ ist die Meisterschaft, das betont Karl-Heinz Rummenigge stets. Auch in der Führungsetage an der Säbener Straße aber weiß man, dass der Maßstab längst ein anderer ist. Mit Titel neun und zehn in der Bundesliga rechnet jeder – ein Champions-League-Coup hingegen würde große Emotionen freisetzen. Das kann die Schale kaum mehr.
Hanna.Raif@ovb.net