München – Er ist einer der ersten Gewinner, seitdem der Tennisball wieder fliegt – Yannick Hanfmann. Die Vorrunde bei der „German Pro Series“ hat er in Großhesselohe souverän gewonnen. Ab nächster Woche will er seine Siegesserie in der Zwischenrunde fortsetzen. Weitere Erfolge bei dem vom DTB initiierten Event sind schön und gut. Doch der 28-Jährige verfolgt höhere Ziele.
Im Interview erklärt der gebürtige Karlsruher, warum er sich nach der Corona-Pause so stark wie noch nie fühlt, was sich im Tenniszirkus alles ändern muss und wie sich seine angeborene Schwerhörigkeit bei Geisterspielen auswirkt.
Herr Hanfmann, lassen Sie mich raten: Als Vorrunden-Sieger der „German Pro Series“ fällt Ihr Zwischenfazit positiv aus …
… auf jeden Fall. Ich habe zwar schon in den Einheiten vorher gespürt, dass ich den Ball gut treffe. Es in Matches zu transportieren, ist aber noch mal was anderes. Zudem weiß man nicht, wie der Körper auf so viele Spiele in kurzer Zeit wieder reagiert. Aber auch das hat mir nichts ausgemacht.
Neu war das Gefühl ohne Zuschauer unter Wettkampfbedingungen. Ein Gefühl, an das Sie sich gewöhnen könnten?
Nein. Ohne Zuschauer ist die Gefahr erheblich größer, mal einen Durchhänger zu haben. Fans helfen einem bei normalen Turnieren dann oft, solche Phasen zu überstehen. Das fehlt total.
Nun muss man alles mit sich selber ausmachen.
Genau. Ich habe auf dem Platz mehr als sonst mit mir selbst gesprochen und mich durch schlechtere Phasen kommentiert, um nicht den Fokus zu verlieren. Das ist mental anstrengend.
Sarkastisch könnte man anmerken, mit Ihrem angeborenen Hörschaden macht es für Sie keinen Unterschied. Ist Ihre körperliche Einschränkung plötzlich ein Vorteil?
Ich bin ja nicht komplett taub. Sondern bekomme schon mit, wenn die Zuschauer Lärm machen. Der Unterschied momentan ist sehr visuell. Da ergibt sich für mich das gleiche Bild wie für meine Gegner.
Viele Spieler haben erklärt, dass Ihnen die Pause am Anfang – sportlich betrachtet – gar nicht so ungelegen kam. Ihnen auch?
Schon. Wenn man über Jahre nur aus dem Koffer lebt, ist mal ein Tritt auf die Bremse nicht verkehrt. Einfach zum Durchatmen. Auch wenn es unter Umständen schöner gewesen wäre.
Wie sahen Ihre ersten Pandemie-Wochen aus?
Ich war zu Hause bei meiner Familie in Karlsruhe. Meine Freundin kommt aus Belgien, hat sich aber entschlossen, die Zeit bei uns zu verbringen. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir als Familie das letzte Mal so viel Zeit füreinander hatte. Fast fünf Wochen lang.
Ihre sportliche Heimat ist seit diesem Jahr die Tennisbase in Oberhaching.
Als wir wieder auf den Platz durften, bin ich auch immer mal wieder zur Base gefahren, um zu trainieren. Ich habe dort ein Appartement und fühle mich sehr wohl.
Haben Sie Lehren aus diesen Monaten gezogen?
Ich will die Tennisblase öfters verlassen. Manchmal sind Pausen effektiver als Training. Lieber nicht so oft, dafür aber mit maximaler Motivation und vollem Akku trainieren.
Nun steht fest: Das Tennis-Jahr 2020 geht weiter. Erste Turniere wie die US Open sind fixiert. Spüren Sie Erleichterung?
Nein. Mich betrifft es ja noch nicht. Für die US Open sind nur die ersten 128 der Welt spielberechtigt. Selbst wenn einige Spieler absagen, müsste ich äußerst viel Glück haben, um in New York dabei zu sein.
Enttäuscht?
Ich kann es ja nicht ändern. Fest steht: Chancengleichheit sieht anders aus. Profis, die durch ihre Einnahmen ein finanzielles Polster haben und Corona sowieso schon besser überstehen können, werden ein weiteres Mal bevorteilt. Das gibt mir zu denken.
Ihre Erklärung?
Jeder versucht in der aktuellen Situation, sein eigenes Fell zu retten. Der US-Verband will unbedingt die US Open durchziehen. Das verstehe ich, geht aber zu Lasten der Spieler jenseits von Platz 128. Gerade die Spieler wollte man doch eigentlich nach der Pandemie besser absichern. Ein Stück weit absurd.
Sie werden aktuell auf Position 143 geführt. Das gilt als sichere Region.
Zu Unrecht. Das kommt darauf an, wie ich mich aufstelle. Engagiere ich einen Stab mit Trainern und Physiotherapeuten, was für Topspieler selbstverständlich ist, wird es eng. Sehr eng.
Der Ruf nach einer durchlässigeren Preisgeldanpassung wird lauter.
Fordern kann man viel. Ob was passiert, steht auf einem anderen Blatt. Solange verschiedene Organisationen Turniere ausrichten, strebt jeder nach maximalem Gewinn. Es gibt kein einheitliches Dach, unter dem alle Turniere veranstaltet werden. Aber ohne so eine Struktur bin ich skeptisch, dass sich was ändert.
Zuletzt ist ein Spielerfonds ins Leben gerufen worden. Damit wollen besser platzierte Profis ihre Kollegen, die hinter ihnen stehen, unterstützen. Könnte so die Lösung aussehen?
Die Idee ist schön. Die Umsetzung nicht. Ich habe aus dem Fonds 3800 Euro überwiesen bekommen. Ich will nicht undankbar sein. Aber so eine Summe kann keine Monate ohne Turniere ausgleichen. Allein zwei Grand-Slam-Turniere sind ausgefallen. Das reicht bei Weitem nicht. Der Fonds ist eher eine Mediensache, dass die ATP sagen kann: Wir haben was gemacht.
Als junges Talent sind Sie den Umweg über das College in den USA gegangen. Warum?
Ich habe mein Abitur gemacht, parallel Tennis gespielt, stand aber nie ganz oben auf der Liste des DTB. Hätte ich nach dem Abi direkt auf der Profi-Tour gespielt, wäre es finanziell ein großes Risiko gewesen. Dann kam ein Angebot aus den USA zum Studieren und semi-professionell meinen Sport zu betreiben. Da musste ich nicht lange überlegen.
Sie waren auf dem College in Los Angeles. Klingt nach Strand, Sonne und hübschen Mädchen.
Das gab es alles. Trotzdem musste ich wirklich studieren. Als Sportler genießt man ein paar Privilegien. Geschenkt bekommt man aber als College-Sportler nichts. Erst recht, wenn man kein Footballer oder Basketballer ist. Dennoch war es eine tolle Zeit. Natürlich gibt es Studenten, die mehr die Verlockungen von Los Angeles genossen haben. Ich gehörte nicht dazu – meistens. (lacht)
Also die bessere Sportler-Ausbildung?
Pauschal kann man das nicht sagen. Für mich war es die beste Lösung und ich habe es nie bereut. Nicht bei jedem zeichnet sich die Karriere so klar ab wie bei einem Alexander Zverev, und für solche Spieler ist das College-System reizvoll.
Nicht nur in Großhesselohe haben Sie ihr Potenzial angedeutet. Entspricht Weltranglisten-Platz 143 der Wahrnehmung Ihrer eigenen Stärke?
Auf keinen Fall. Mit dem Ranking bin ich überhaupt nicht zufrieden. Wenn ich körperlich fit bleibe, bin ich sicher, dass es schnell nach oben geht. Gerade in der Corona-Zeit hatte ich keinen Durchhänger, sondern habe gesagt: Da kannst Du jetzt noch was draufpacken. Und ich glaube, das ist mir gelungen.
Neben den Reformen abseits des Platzes werden aktuell auch Änderungen am Spiel auf dem Platz diskutiert. Was würden Sie ändern?
Ich würde den Netzaufschlag sofort abschaffen. Egal ob der Ball nach dem Aufschlag das berührt oder nicht, es wird weiter gespielt. Im College haben wir so gespielt und ich finde es sinnvoll. Noch mehr am Herzen liegt mir allerdings ein lockerer Umgang mit den Fans.
Heißt konkret?
Schaue ich mir zum Beispiel ein Match an, habe ich keine Lust am Eingang warten zu müssen, nur weil die Spieler gerade keinen Seitenwechsel absolvieren. Außerhalb vom Sichtfeld des Aufschlägers sollten die Menschen machen können, was sie wollen. Die sollen rumlaufen oder sich Popcorn holen können. Mehr Party-Stimmung wie bei den US Open und weniger strenge Etikette wie zum Beispiel in Wimbledon. Interview: Daniel Müksch