München – In der Regel macht Profi-Kletterer Stefan Glowacz die Felswände in den abgelegensten Winkeln der Erde unsicher. Er kletterte im Oman, im kanadisch-arktischen Archipel und tourte in den letzten beiden Jahren durch Grönland. Aufgrund der Corona-Beschränkungen ist der 55-Jährige, der in Berg am Starnberger See wohnt, heuer zum Daheimbleiben gezwungen. Im Interview spricht der Abenteurer über die Zeit in der Heimat und sein Langzeitprojekt – die Schwarze Wand im Wettersteingebirge, die er unbedingt bezwingen will.
Herr Glowacz, wie sah Ihr Alltag während des Lockdowns aus?
Ich habe das Privileg, auf dem Land zu leben. Ich habe einen Garten, bin mit dem Radl sofort in der Natur. In der Hochphase des Lockdowns habe ich mich solidarisch gezeigt und nur in meinem Trainingsraum trainiert, um das Gesundheitssystem nicht zu belasten. Wenn es mich mit dem Rad schmeißt und ich eine größere Rettungsaktion auslöse, da kann das Gesundheitspersonal darauf verzichten, so einen Hanswurst behandeln zu müssen, der sich nicht an die Lockdown-Regeln hält.
Wie war es, mal etwas mehr Zeit für die Familie zu haben?
Meine Frau ist auch selbstständig und hat eine eigene Produktionsfirma und Werbeagentur. Da ist auch von heute auf morgen nichts mehr gelaufen. Das war wie ein schöner Urlaub. So viel Zeit haben wir noch nie miteinander verbringen können. Wir wussten die Situation zu schätzen.
Das klingt so, als hätten Sie es sehr genossen, daheim sein zu können.
Ja, auch weil ich in meinem Bewegungsradius kaum eingeschränkt war. Als wieder gelockert wurde, sind wir nach Garmisch gefahren, wo mein Erstbegehungsprojekt ist. Wir waren schon im April oben, als die Hütten noch geschlossen waren. Das war traumhaft. Ich habe die Einschränkungen gar nicht als solche empfunden. Es waren überwiegend positive Umstände für mich.
Sie sind meist auf der ganzen Welt unterwegs. Das Verweilen in Bayern ist für Sie keine Einschränkung?
Ich konnte in den letzten Jahren viel unterwegs sein und diese Freiheit, aufzubrechen, wann und wohin ich möchte, in vollen Zügen genießen. Dieses Jahr war – bis auf eine Reise nach China im Frühjahr – eh geplant, in den heimischen Gefilden unterwegs zu sein. Ich möchte künftig mit dem Rad ins Gebirge fahren. Außerdem habe ich ein Erstbegehungsprojekt hier am Wetterstein, auf das ich mich konzentrieren wollte. Also hat mir das gar nicht so viel ausgemacht.
Was ist das für ein Erstbegehungsprojekt?
Das ist ein Langzeitprojekt. Es geht um eine Route durchs Höllental im Wettersteingebirge. Gleich hinter der Hütte liegt eine riesige Felswand, ziemlich steil und überhängend. Die heißt „Schwarze Wand“, ist ungefähr 300 Meter hoch. Da habe ich mit meinem Partner Markus Dorfleitner vor 17 Jahren eine Route eingerichtet. Wir sind da eingestiegen und haben die ganzen Sicherungshaken gesetzt. Wir sind nicht gleich im sportlich einwandfreien Stil hochgekommen. Das ist so schwierig, dass man ein bisschen mehr Zeit aufwenden muss, die ganzen Bewegungsabläufe einzustudieren. Wir haben das immer wieder verworfen, mal war ich auf Expedition, mal war ich verletzt … und so ist die Zeit ins Land gegangen. Als wir uns wieder um die Route gekümmert haben, war uns klar: Jetzt müssen wir da mal intensiver rangehen. Und das haben wir uns für dieses Jahr vorgenommen.
Interview: Julian Nett