München – Sein Name steht für die goldene Ära im deutschen Tennis – auch wenn er im Königreich Jugoslawien geboren wurde und Kroate ist. Niki Pilic. Als Kapitän des deutschen Davis-Cup-Teams führte er Boris Becker, Michael Stich und Co. zu drei Titeln. Seine deutsche Wahlheimat war München. In Oberschleißheim stand lange seine „Niki Pilic Tennis Academy“. 1999 klopfte ein zwölfjähriger, vom Balkankrieg gezeichneter Junge an seine Tür in der Dachauer Straße 35a: Novak Djokovic. Viereinhalb Jahre blieb er bei Pilic. Entscheidende Jahre für ein Tennis-Talent. Das weiß auch Djokovic. „Niki und seine Frau behandelten mich wie ihr eigenes Kind, auch meine zwei jüngeren Brüder. Meine Familie wird das nie vergessen“, sagt er über den heute 80-jährigen Pilic. Und fast die Beziehung so zusammen: „Niki Pilic: mein Tennisvater, mein Mentor.“
Doch der ehemalige Pilic-Schützling wird gerade schwer attackiert. Die von ihm initierte Adria Tour endete im Fiasko. Ohne Hygienekonzept feierte der Serbe ein Party mit anderen Topstars und 4000 Fans in der Arena. Die Folge: Vier Spieler und einige Betreuer wurden positiv auf das Coronavirus getestet. Auch Djokokic selber.
Unsere Zeitung erreicht Niki Pilic am Telefon – und der Startrainer erklärt, wie er dem Corona-Fiasko knapp entgangen ist, welche Fehler Djokovic gemacht – und warum es aber zu einfach ist, ihn als Alleinschuldigen darzustellen.
Herr Pilic, wo sind Sie gerade? Auf dem Tennisplatz?
Fast. Ich esse gerade meine Pasta. Und werde danach wieder auf den Platz gehen.
Also stimmen die Geschichten, dass Sie auch mit 80 Jahren noch täglich den Schläger schwingen.
Tennis ist mein Leben. Ich spiele jeden Tag drei Stunden. Trainiere junge Talente. Außer Sonntag. Da ist frei.
Aber vom Coronavirus wurde auch Ihre Tennis-Leidenschaft ausgebremst, oder?
Leider. 42 Tage ging gar nichts mehr. Die Plätze waren gesperrt, der ganze Club. Eine bedrückende Atmosphäre. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mal so lange nicht auf dem Platz gestanden habe.
Wie haben Sie sich die freie Zeit vertrieben?
Mit meiner Frau Mija bin ich viel spazieren gegangen. Ich muss zum Meer nur 80 Treppenstufen gehen. Zu Hause habe ich Gymnastik gemacht. Ein bisschen was gelesen. Aber ehrlich gesagt war mir langweilig.
Langsam kommt das Tennis wieder in Fahrt. Ihr Ex-Spieler Novak Djokovic hat bei seiner Adria Tour für negative Schlagzeilen gesorgt. Zuletzt mit der eigenen Corona-Erkrankung.
Bei uns in Kroatien gibt es kein anderes Thema. Ich finde es aber nicht richtig, Novak alleine die Schuld zu geben. Die Situation in Kroatien oder Serbien ist momentan wirklich nicht vergleichbar zum Beispiel mit der Situation in den USA. Mit über zwei Millionen Erkrankten und Hunderttausenden Toten. Novak hat sich an alle Auflagen gehalten und wollte dem Sport ein Stück Normalität zurückgeben.
Das ist gehörig nach hinten losgegangen.
Natürlich lief nicht alles perfekt bei der Adria Tour. Mussten es wirklich 4000 Zuschauer sein? Hätte man viel intensiver testen müssen? Das sind berechtigte Fragen. Aber Novak hatte nichts Schlechtes im Sinn. Dafür kenne ich ihn zu gut. Vier positive Spieler sind tragisch. Bleibt es dabei, ist man aber einigermaßen glimpflich davon gekommen.
Was hatte Djokovic denn im Sinn?
Wie ich gesagt habe, er wollte Tennis zur Normalität verhelfen. Danach haben sich die alle gesehnt. Noch vor wenigen Wochen wollte jeder Spieler unbedingt wieder Matchpraxis sammeln. Und die Idee hinter der Adria Tour war sehr gut von Novak. Als ehemaliger Turnierdirektor der BMW Open weiß ich noch sehr gut, wie schwer es ist, Topstars zu verpflichten. Und mit Thiem, Zverev und Dimitrow hat Novak gleich eine ganze Reihe überzeugen können. Ohne Gage. Das ist zunächst eine Leistung, vor der ich Respekt habe.
Wird er daraus lernen?
Ich bin mir sicher, dass Novak alle erforderlichen Maßnahmen einleiten wird. Er hat ja schon angekündigt, 14 Tage in häusliche Quarantäne zu gehen und sich nach fünf Tagen erneut testen zu lassen. Er weiß jetzt genau, wie ernst die Lage ist.
Es ehrt Sie, dass Sie Ihren ehemaligen Spieler beschützen wollen. Viele sehen seine Rolle jedoch erheblich negativer.
Ich will ihn nicht von jeglicher Schuld freisprechen. Zwei Eigenschaften zeichnen ihn aus: Er ist ein Perfektionist. Und extrem in allem, was er tut. Hier wollte er anscheinend mit aller Macht etwas beweisen, wofür es noch zu früh war. Das war ein Fehler. Um im Sport zu bleiben – es war eine Niederlage. Aber er ist nicht der Alleinschuldige. Die anderen Spieler haben auch alle bereitwillig mitgemacht. Nur auf Novak einzuprügeln ist zu einfach.
Wann haben Sie zuletzt mit ihm gesprochen?
Am Samstag. Er hat mich angerufen und wollte, dass ich nach Zadar komme. Er war bestens gelaunt und völlig begeistert von dem Turnier.
Sind Sie hingefahren?
Nein. Das war mir doch zu gefährlich. Mit dem Auto sind es von meinem Wohnort Opatija nach Zadar über 300 Kilometer. Das fährt man in meinem Alter nicht mal so nebenbei. Dann doch lieber vier Stunden selber auf dem Tennisplatz stehen.
Spielte auch die Angst vor Corona eine Rolle?
Schon. Ich spüre zwar keine Angst. Meide aber Plätze mit zu vielen Menschen.
Wie ein Tennismatch vor 4000 Zuschauern.
Solche Entscheidungen muss jeder für sich treffen. Ich möchte niemand verbieten, solche Veranstaltungen zu besuchen. Noch einmal: Die Behörden haben das Turnier so genehmigt. Wenn sich jemand dann entschließt, eine solche Veranstaltung zu besuchen, muss er allerdings auch mit den Konsequenzen leben.
Sehen wir schon bald wieder Tennisturniere wie vor der Corona-Pandemie?
Ich kann es mir kaum vorstellen. Gerade auf internationaler Ebene. Auf der anderen Seite gibt es überall große wirtschaftliche Interessen. Das muss man abwägen. Hoffentlich hat man mehr Glück als bei der Adria Tour. Interview: Daniel Müksch