Ist Moral eine zulässige Kategorie für Entscheidungen rund um einen Fußball-Verein? Diese Frage muss jeder Beobachter für sich beantworten, bevor er sich mit dem Fall Clemens Tönnies und seiner Position bei Schalke 04 beschäftigt.
Da es sich nicht um irgendeinen Club handelt, sondern eben um die Königsblauen aus Gelsenkirchen, komme ich zu dem Ergebnis: Ja, die Arbeit des Aufsichtsratsvorsitzenden von Schalke 04 muss auch immer unter dem moralischen Brennglas betrachtet werden. Und im Fall Tönnies bedeutet das – der 64-Jährige ist nicht mehr tragbar für das Amt.
Das liegt hauptsächlich an der besonderen Beziehung der Fans zu ihrem Verein. Schalke bedeutet mehr als ein 1:0 oder die Qualifikation für die Champions League. In einer wirtschaftlich schwer gebeutelten nach neuer Identität suchenden Region ist der Club ein Eckpfeiler für das Leben von Millionen Menschen. Das Privileg, diesen Menschen in ihrem Alltag Hoffnung zu geben, hat Tönnies verwirkt. Rassismus-Skandal, Härtefallantrag, Trennung von langjährigen und zum Teil behinderten Mitarbeitern sowie unerträgliche Zustände in seinen Fleischfabriken – die Liste seiner Verfehlungen ist zu lang und verstößt gegen Werte, die den Verein seit 114 Jahren prägen.
Mit Geld kann er diese moralische Schuld nicht (mehr) begleichen. Ja, er hat Schalke in schwierigen Situationen geholfen. Wobei auch darüber unterschiedliche Versionen existieren. Der barmherzige Ritter war er nie. Doch er hat geholfen – das steht auf seiner Habenseite.
Wahr ist allerdings auch: Clemens Tönnies hat Schalke zu diesem unsozialen, auf Kante genähten Unternehmen werden lassen, wie es sich in der Corona-Krise präsentiert hat. Tönnies sollte auch keine Zukunft in Gelsenkirchen mehr haben, wenn man aktuell um die Meisterschaft mitspielen würde.
Stünde Tönnies bei einem Verein in vorderster Front, der die moralische Inszenierung nicht als Folklore benötigt, wäre die Lage für ihn nicht so prekär.
Will Schalke aber seine Würde behalten, geht das nur noch ohne Clemens Tönnies.
Daniel.Mueksch@ovb.net