München – Sie ist eines der Gesichter der deutschen Leichtathletik. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass Marie-Laurence Jungfleisch zu den besten Hochspringerinnen der Welt gehört. Die 29-Jährige gehört auch zu den meinungsstarken Athleten der Szene. In den vergangenen Wochen hat sich die dunkelhäutige EM-Dritte von 2018 immer wieder im Zusammenhang mit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in den USA zu Wort gemeldet. Was in ihrem Fall auch persönliche Gründe hat. Auch sie selbst hat mit Rassismus schon ihre Erfahrungen gemacht, wie sie im Interview erzählte.
Sie haben eben ein Trainingslager im Bundesstützpunkt in Kienbaum hinter sich gebracht. Klingt, als wären Sie wieder zurück in der Normalität.
Na ja, noch nicht ganz. In Kienbaum zum Beispiel durften jetzt nur Kaderathleten trainieren. Aber es hat sich vieles verbessert. Das Training läuft jetzt eigentlich sehr gut.
Nach der Verlegung der Olympischen Spiele haben Sie von Motivationsproblemen gesprochen. Wie schwer ist es, ohne konkretes Nahziel zu trainieren?
Na ja, es wird die deutschen Meisterschaften geben, das steht jetzt ja fest. Und darum herum auch einige kleinere Wettkämpfe. Aber für mich werden Wettkämpfe in diesem Jahr keine größere Rolle spielen. Aber es geht ja auch darum, dass sich die Leistung entwickelt. Ich habe schon den Anspruch, jedes Jahr zwei Meter zu springen. Das klappt vielleicht nicht immer, aber ich habe es mit meinem Trainer (Tamas Kiss, Anm.d.Red.) in den letzten Jahren eigentlich immer geschafft, auf den Punkt voll da zu sein. Insofern habe ich großes Vertrauen, dass es auch diesmal klappt. Und wer weiß, nach meiner Verletzung im letzten Jahr ist die längere Vorbereitung vielleicht kein Nachteil.
Die letzten Wochen waren nicht nur von der Pandemie beeinflusst, sondern auch von den Ereignissen in den USA rund um den Tod des Afroamerikaners George Floyd. Auch Sie haben sich dazu klar positioniert…
Ja, schon. Weil ich denke, dass man alles dafür tun muss, dass das Thema nicht wieder verschwindet. Manchmal ist es ja so, dass die Öffentlichkeit Dinge nach ein paar Wochen vergisst. Das darf nicht passieren. Aber ich bin da eigentlich ganz zuversichtlich.
Warum?
Der Fall war einfach unglaublich traurig. Dass ein Mann vor laufender Kamera stirbt. Aber es ist auch so, dass sich jetzt viele sehr bekannte Leute engagieren. Fußballspieler, Basketballspieler, die eine sehr große Medienwirksamkeit haben. Sie können schon vieles bewirken.
Auch Sie?
Auch ich kann meinen Teil dazu beitragen, denn Rassismus darf einfach keinen Platz haben.
Ihr Vater stammt aus Martinique, auch Sie haben eine dunkle Hautfarbe. Ist Rassismus etwas, was auch Ihnen begegnet?
Im Sport glücklicherweise überhaupt nicht. Ich springe schon seit ich 12, 13 Jahre alt war – in der Leichtathletik gibt es so etwas nicht. In der Schule habe ich jedoch nicht so gute Erfahrungen gemacht.
Erzählen Sie…
In der Schule wurde ich gemobbt, das kann man nicht anders sagen. Wegen meiner Hautfarbe. Meine Mutter ist aus Freiburg, ich bin dort aufgewachsen, aber ich sah anders aus. Natürlich hat sich das ausgewirkt, ich war ein zehnjähriges Kind. Meine Leistungen sind immer schlechter geworden. Ich habe das damals nicht einmal meiner Mutter erzählt. Das Traurige war: Mit einem Lehrer habe ich darüber gesprochen. Aber er hat nichts unternommen und schon gar nicht geholfen. Ich habe die Schule dann gewechselt. Dann wurde es glücklicherweise besser.
Sie sind anschließend in ein entsprechendes Umfeld im Sport gekommen, sind heute eine erfolgreiche Athletin. Diese Vorzüge hat allerdings nicht jeder. Wie groß ist das Problem Rassismus in Deutschland?
Ich glaube jetzt nicht unbedingt, dass es hier Vorfälle gibt wie in den USA. Aber ich glaube, dass der Rassismus in Deutschland ein anderes Gesicht hat. Ich denke zum Beispiel, wenn man sich hier mit einem fremd klingenden Namen um einen Job bewirbt, dann hat man schlechtere Karten.
Wie wird Jungfleisch aufgenommen? Das klingt nicht unbedingt karibisch…
(lacht) Nein, es ist der Name meiner Mutter. Aber ich finde ihn eigentlich ziemlich gut. Das hat einen Wiedererkennungswert.
Bei Instagram hatten Sie kürzlich einen stolz klingenden Post „We are black women“. Welche Bedeutung hat Hautfarbe für Sie?
Eigentlich hat Hautfarbe für mich keine Bedeutung, weil sie auch keine Rolle spielen sollte. Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe.
Wie stark ist Ihre Verbindung in die Heimat Ihres Vaters?
Ich war erst einmal dort und zwar nach den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. Sonst hat der Sport nicht viel Raum für große Reisen gelassen. Aber ich fühle mich schon verbunden und habe auch noch viele Verwandte dort. Mein Vater hat alleine acht Geschwister. Das verbindet auch.
Interview: Patrick Reichelt