GESAMTWERTUNG
Seien wir mal ganz ehrlich: Die Saisonen in der Bundesliga sind sich in den vergangenen 15 Jahren immer ähnlicher geworden. Wer könnte es jetzt noch mit Bestimmtheit sagen, in welcher die Bayern die Meisterschaft mit GoPros an den Weizengläsern gefeiert haben oder in welcher Dortmunds Boss Aki Watzke weniger als fünf Exklusivinterviews pro Woche gegeben hätte? Die Tabelle wühlt auch niemanden mehr auf, weil man vor dem 1. Spieltag erahnt, wie sie nach dem 34. aussehen wird.
Doch 2019/20 ist anders. Ein Solitär in der fast 60-jährigen Geschichte der Siedlung Bundesliga. Es war Mitte Mai nicht Schluss, sondern ging da erst wieder los. Und bis Ende Juni, hinein in den Sommer, den wir für die EM und die großen Gefühle reserviert hatten. Von Mitte März an war für zwei Monate kein Ball gerollt, Fußballer posteten Videos aus ihren Küchen („Wir zeigen, wie man Hände wäscht“) und Garagen mit Fitnessgeräten („So, der Leon aus München stemmt sich jetzt richtig dicke Muskeln an den Arm“), auf Sky Sport News wurden Pressekonferenzen des Robert Koch Instituts, von Markus Söder und Angela Merkel übertragen, im Fußballtalk Doppelpass, dessen 1000. Ausgabe die erste ohne Saalzuschauer war, traten Politiker auf (Karl Lauterbach, Kevin Kühnert, Söder) und man sah in einer Skype-Schalte Hertha-Manager Michael Preetz vor seiner privaten Bücherwand, von den Kindern nach Farben sortiert, sitzen. Echauffiert haben wir uns über Handschläge in der Kabine von Hertha BSC (gefilmt von Salomon Kalou), den Zahnpastakauf eines Trainers (Heiko Herrlich) und Spieler beim Friseur (Jadon Sancho).
Alles eine Folge von einem Virus, das aus China zu uns gekommen war. Die Hongkong-Grippe (1968/69) hatte den Fußball nicht beeinträchtigt, auch der Rinderwahnsinn in den frühen 2000ern war vorbeigezogen.
2019/20 war die Corona-Saison. In der wir erfuhren, dass Fernsehgelder in vier Raten ausbezahlt werden. Und dass die Liga doch nicht so super dasteht, wie es im wenige Wochen zuvor in Druck gegangenen Wirtschaftsreport der DFL zu lesen war.
Bekanntester Mann im deutschen Fußball ist seit 2019/20 übrigens Christian Seifert, der DFL-Chef, der früher bei Karstadt war und sich für seinen Job nicht über Treffer an der ZDF-Torwand qualifiziert hat. Herr Seifert spricht zu uns, vor einer Wand mit dem DFL-Logo sitzend. Er wird nie wütend, er will stets demütig wirken.
VOR CORONA
Oh ja, diese Saison hatte wirklich was zu bieten:
Clemens Tönnies (Schalke) eröffnet sie mit seinem Rassismus-Eklat auf dem Handwerkstag in Paderborn-Lippe, drei Monate tut er dafür Buße.
„Kovac out“ bei den Bayern, eine echte Krise, noch dazu zur Wiesn-Zeit.
Hertha BSC will „Big City Club“ werden. Jürgen Klinsmann wird für den Aufsichtsrat angeheuert. Jürgen Klinsmann wird Trainer und bezieht Quartier im Hotel „Titanic“. Klinsmann will auf einmal nicht mehr Trainer sein und verabschiedet sich via Facebook („Ha ho he, Euer Jürgen“). Jürgen Klinsmanns Tagebuchaufzeichnungen bleiben nicht geheim, er unterschiedet in Spieler mit und ohne Mehrwert.
Eskalation rund um Dietmar Hopp. Proteste in nahezu allen Stadien gegen den Hoffenheimer Investor als Symbolfigur für Entwicklungen in der Bundesliga, die die Kurven stören: Stilles Aushebeln der 50+1-Regel, Kollektivstrafen. Vorwurf Richtung Liga: Wenn Spieler (rassistisch) geschmäht werden. hört man weg, beim reichen Hopp stellt man die Ohren auf. Das Spiel Hoffenheim – FC Bayern steht vor dem Abbruch, Karl-Heinz Rummenigge will mit dem Freund von der TSG tröstend Händchen halten (obwohl es schon erste Corona-Abstands-Mahnungen gibt). Empörung bundesweit über die verbalen Angriffe gegen Hopp. Fußball als Tagesschau-Aufmacher. Dann kommt Corona, Hopp wird trotz seiner Impfstoff-Forschfirma CureVac unwichtig, der DFB stellt alle anhängigen Verfahren wegen den Transparenten in den Fanblöcken ein.
DAS SPORTLICHE
Voll und ganz. Etattabelle = Abschlusstabelle. Gladbach leichter Overperformer dank Marco-Rose-Fußball. Es war ein bisschen spannender als sonst, Bayern nicht permanent vorne, und ein anderer wurde Herbstmeister (Leipzig). Die Absteiger: Aufsteiger im ersten Jahr (Paderborn) und im zweiten (Düsseldorf). Absehbar. GÜNTER KLEIN