München – Werder Bremen – das war immer grün-weißer Himmelsstürmer-Fußball. Diese Saison sah man ihn aber kaum mal. Werder war nicht mehr Werder (nicht nur wegen der fehlenden Punkte) – was Trainer Florian Kohfeldt stets so begründete: „Zu viele Verletzungen.“
Das bringt man schnell mal als Rechtfertigung vor, im Fall Bremen stimmt es aber. Das zeigt die Auswertung, die der Stuttgarter Fabian Siegel veröffentlicht hat. Der Moderator und Redakteur beim Südwestrundfunk merkt immer gleich auf, wenn irgendwo ein Spieler verletzt gemeldet wird und verfolgt, wie lange er nicht am Mannschaftstraining teilnehmen kann. Seine Erkenntnisse breitet Siegel in seinem mittlerweile auch international beachteten Blog „Fußballverletzungen.com“ aus. Und ja: 2019/20 war Werder Bremen der Club, den es am schlimmsten erwischte. 2210 Verletzungstage sammelten sich an. Verteilt man sie auf die Spieler im Kader, wären das für jeden 69 Tage.
Was Bremen betrifft, erklärt die neueste Tabelle von Siegel einiges. Bei anderen Clubs stehen sportlicher (Miss-)Erfolg und das Auftreten von Blessuren nicht unbedingt in einem Kontext. Der SC Paderborn ist Gesundheits-Vizemeister – was ihn aber nicht vor dem Abstieg in die 2. Liga bewahrte. Und der FC Bayern erspielte sich seine übliche sportliche Dominanz, ohne als gesamtes Team pumperlgesund gewesen zu sein: Platz sieben, fast 50 Tage Ausfallzeit pro Profi.
In die medizinische Betreuung und Verletzungsprävention investieren alle Clubs, schließlich sind die Spieler, ihre Bänder, Sehnen und Knochen nichts anderes als Kapital. Nicht überall aber gehen die Konzepte auf. Leipzig, das sich dem Fußball mit sportwissenschaftlichem Ansatz nähert und seine Leute nächtens sogar in regenerationsfördernde Schlafanzüge steckt, wurde 2019/20 nur 16. – der Verletzungs-Relegationsplatz. Der FC Augsburg, der einen aus München verpflichteten Physiotherapeuten-Guru als wichtigsten Neuzugang bezeichnete, wurde doch nur 14. (Verletzungen) und 15. (richtiges Leben).
Hingegen überraschte Mainz mit Platz fünf in Siegels Tabelle – der FSV hatte sich mit dem Sportwissenschaftler Sven Herzog verstärkt, der aus dem Eishockey (Augsburger Panther) kam, wo ihn die für den Profisport zuständige Verwaltungsberufsgenossenschaft 2018 mit einem Preis ausgezeichnet hatte – für Verletzungsvermeidungs-Konzepte.
Interessant ist die Fußballverletzungs-Auswertung 2019/20 auch deshalb, weil die Saison wegen der Corona-Krise unterbrochen und neu aufgenommen wurde. Fabian Siegel verglich die Verletzungshäufigkeit vor Corona mit der ab Wiedereinstieg in den Trainingsbetrieb und schließlich ab dem Re-Start – und stellte fest: „Die Sorgen, dass das Verletzungsrisiko steigen würde, waren unbegründet. Bei zwölf Vereinen war ab Trainingsbeginn im April sogar ein klarer Rückgang an Verletzungen festzustellen, ab dem nachgeholten 26. Spieltag blieb eine Verletzungswelle ebenfalls aus. Nur bei Hertha BSC, das dennoch über die Gesamtsaison am wenigsten Ausfälle hatte, und dem FC Bayern war eine deutliche Steigerung festzustellen. Hinderte die Bayern aber nicht daran, jedes Match zu gewinnen.
Einige Spieler waren „Corona-Profiteure“, wie Fabian Siegel sie nennt. Weil die Saison eineinhalb Monate später endete, konnten sie wider Erwarten noch Spiele bestreiten. Niklas Füllkrug (Kreuzbandriss, 263 Tage) stand Werder Bremen doch noch zur Seite. Auch Niklas Süle von den Bayern (ebenfalls Kreuzband) schaffte es in den Kader zurück und durfte am Samstag als Reservist den DFB-Pokal heben. Die EM, die es nicht gab, hätte er verpasst.